Die Bischöfin von Rom
als Chrestos oder Christus gesprochen; der Auferstandene, so hieß es, habe die Menschheit durch seinen Sieg über den Tod von allen Übeln erlöst.
Diejenigen, die es besser wußten und in der tatsächlichen Nachfolge des Galiläers dessen Lehre von Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als wahren Weg zu einem menschenwürdigeren Dasein predigten, wurden verspottet. Es dauerte nicht lange, bis man sie verfolgte, so daß sie sich in die Abgeschiedenheit zurückzogen oder in die Fremde flohen. Eine solche Gruppe von Juden gelangte nach Britannien und zur Ynys Avallach; diese Schülerinnen und Schüler Jeschus hatten zuvor die Zerstörung Jerusalems durch die Römer erlebt. In Rom und anderswo indessen fanden sich immer größere Gemeinden derjenigen zusammen, die sich jetzt als Christen bezeichneten; es waren Anhänger des Galiläers unter ihnen, welche seine einfache und dennoch so tiefe Weisheit zu bewahren versuchten, und andere, die ihren Wunderglauben nun zunehmend mit Machthunger verbanden – um sich zuletzt, knapp drei Jahrhunderte nach der Kreuzigung, mit dem Kaisertum zu verbünden.
Innerhalb weniger Herzschläge waren diese Schauungen an Branwyn vorübergerast; jetzt verlangsamte sich das Jagen der Bilder wieder und kam beinahe zum Stillstand. Eine Hügellandschaft tauchte auf: sieben Erhebungen über den Ufern eines breiten, mäandrierenden Flusses; so weit das Auge reichte, waren die Kuppen und die dazwischenliegenden Täler bebaut. Branwyn erkannte prunkvolle Paläste, Triumphbögen und aus Marmorquadern errichtete Kirchen, die sich auf den Fundamenten heidnischer Tempel erhoben; daneben erblickte sie Armenviertel, in deren Gassen Not, Bitternis und Lebensangst herrschten. Die ganze riesige Stadt war von einer gigantischen Mauer mit einer Vielzahl von Türmen umgeben – und nun drang der Name der Metropole an ihr Ohr …
Rom und römische Bösartigkeit kreuzigen mich neuerlich; kreuzigen mich nunmehr in Gestalt eines Gottes, obwohl ich nicht das Adonai, sondern nur Funke des Adonai bin! Wo ich Nächstenliebe lehrte, säen falsche Priester Haß! Wo ich Gerechtigkeit forderte, gieren dieselben falschen Priester nach Macht! Wo ich Barmherzigkeit predigte, wenden jene falschen Priester ihre Augen von den Armen, Schwachen und Unterdrückten ab! Rom, von wo aus das Böse schon so oft in die Welt getragen wurde, ist wiederum zur Brutstätte des Bösen geworden!
Körperlos und damit um so eindringlicher vernahm Branwyn die Stimme dessen, dem sie in Britannien und Judäa begegnet war und den sie zuletzt über die Karawanenstraßen des östlichen Erdteils hatte ziehen sehen. Jetzt schien Jeschu aus den ärmlichen Vierteln Roms heraus zu ihr zu sprechen; ganz so, als wollte er sie dorthin rufen – und in jähem Erschrecken darüber durchfuhr es die junge Frau: Warum ich?!
Weil du ihm und seinem Wollen stets näher warst als die meisten anderen Menschen!
Während diese Worte erklangen, verschwand die Siebenhügelstadt. An ihrer Stelle erschien die bescheidene Flechtwerkkirche der Christengemeinde von Avalon, wurde durchscheinend und gab die Sicht auf den Heiligen Dorn inmitten des Birkenhaines frei. Und dort, wie mit dem jahrhundertealten Baum verwachsen, stand ein schmächtiger, betagter Mann mit einem weißen Haarkranz über der hohen Stirn: Jacwb, der ermordete Priester ihrer Heimatinsel, welcher nun fortfuhr:
Erinnere dich an die Zeit auf der Ynys Vytrin! Sowohl auf dem Pfad der Dreifachen Göttin als auch im Zeichen des Fisches suchtest du nach Weisheit. Du nahmst sie von Penarddun, Arawn und Kigva ebenso an wie von mir, der ich zusammen mit dir die Evangelien las. In gegenseitiger Achtung und Freundschaft geschah es; auf diese Weise verflochten wir die Lehre Jesu mit dem Wesen Ceridwens und verwirklichten in diesem Miteinander den Willen des Göttlichen auf unserem Eiland. Dies war der Weg, den du von Jugend an beschritten hast; weil du ihm aber in Liebe zu allen deinen Mitmenschen folgtest und die Kraft besitzt, ihn noch sehr viel weiter zu gehen, ruft dich der Geist des Galiläers nach Rom!
Abermals schreckte Branwyn vor diesem Gedanken zurück, doch sie vermochte ihm nicht wirklich auszuweichen, denn jetzt wiederholte Jacwb etwas, was sie in einer der Nächte ihrer Wanderung aus dem Mund des Barden – und gleichermaßen der Göttin – gehört hatte:
Du bist stark, bist um vieles stärker als andere! Und das bedeutet: Du kannst entscheidend in den Kampf der Drachen eingreifen!
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