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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Nachdem du die schreckliche Fratze des Molochs erschaut hast, weißt du, welche Abgründe sich auftun, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird!
    Branwyn taumelte; eine Flut gräßlicher Bildfetzen stürmte auf sie ein: all das Böse, das sie auf der Ynys Vytrin und anderswo erlebt hatte. Aber dann spürte sie, wie sie aufgefangen wurde: von Jacwb, dessen Körper nun mit dem Dornbaum zu verschmelzen schien, sowie den Seelen Abertausender weiterer unschuldiger Opfer des Weißen Drachen, deren Gesamtheit in der gemeinsamen Sehnsucht nach Überwindung des Widergöttlichen einen Teil der guten Wesenheit des Roten Drachen ausmachte. Und im selben Moment, da sie eins wurde mit dieser andersweltlichen Wärme, wußte sie, daß sie sich trotz ihrer Furcht nicht verweigern durfte. Schon damals, als sie mit Eolo Goch über den Kampf der Drachen gesprochen hatte, war ihr der Anfang des Pfades gezeigt worden, den Ceridwen ihr vorgezeichnet hatte – nun, nachdem die Schleier völlig gelüftet waren, stand ihr der gesamte Weg vor Augen.
    Einen Lidschlag lang erblickte sie ihn, wie er sich über das rauhe Meer und durch fremde, teilweise vom Krieg verwüstete Länder wand; dann wurde er zum Schlangenpfad, der zum Gipfel des Twr emporführte. Brausender Sturmwind ergriff die junge Frau und trug sie entlang der Spiralen dem Menhir entgegen; dort oben verband ihr Innerstes sich mit dem Hohen Stein und ließ sich vom Erdmutterschoß einsaugen, bis Branwyn die Höhle und das Ufer des unterirdischen Teiches erreichte. Entrückt und mit geschlossenen Lidern sah sie sich im Kreis der Druidinnen stehen; hier vereinigten Geist und Leib sich wieder, und ihr Gesicht hob sich der lautlos hallenden Stimme der Göttin entgegen.
    Du bist Jeschu begegnet, der einst auf der Ynys Avallach weilte und später in Judäa gekreuzigt wurde; ihm bist du begegnet und dazu Jacwb, der auf der Ynys Vytrin dein Freund war. Beide haben zu dir gesprochen; du hast ihre Worte vernommen und hast dich in deinem Herzen von ihnen bewegen lassen, ihre Bitte nicht zurückzuweisen. Den Weg erkanntest du, den ich dir von allem Anfang an wies; dir wurde er vorbestimmt, weil niemand sonst aus deiner britannischen Heimat und deiner Zeit fähig wäre, ihn mit solcher Hingabe wie du zu gehen. Denn obwohl du unsägliches Leid durchgestanden hast, hieltest du dennoch unverbrüchlich an deiner Menschenliebe fest; dies macht dich zu meiner Auserwählten; dies und darüber hinaus dein Wissen um die Bedeutung des Kampfes, den der Rote Drache gegen den Weißen Drachen führt. In jenen Kampf sollst du nunmehr eingreifen; mein Wunsch verbindet sich darin mit dem des Gekreuzigten, aber ehe du dich endgültig entscheidest, ist es dein Recht, die ganze Wahrheit über deine Zukunft zu erfahren …
    Branwyns bleiches Antlitz erstarrte, Abwehr malte sich in ihren Zügen; erst nachdem sie die unwillkürliche Regung überwunden hatte, hörte sie die Stimme sagen:
    Fürchte dich nicht vor dem, was dich in Rom erwartet! Fürchte dich nicht, auch wenn dein Schicksal einem zweischneidigen Schwert gleicht. Im Licht schimmert die eine Seite der Klinge, Schatten verdunkeln die andere; sofern du nach der Waffe greifst, mußt du beides annehmen! Wenn du dich also zum Kampf entschließt, wirst du Helligkeit in die Welt tragen und aufgrund dessen sehr hoch steigen; gleichzeitig aber wird Finsternis dich bedrängen und dich auf dem Gipfelpunkt deines Pfades in großes Leid stürzen, so daß scheinbar alles niederbricht, was du aufbautest. Dies ist das Los, das deiner harrt – und jetzt antworte mir: Schreckst du davor zurück, oder willst du dich ihm stellen?
    Die Frage erschütterte Branwyn zutiefst. Sie hatte das Empfinden, all dem nicht länger gewachsen zu sein; schon war sie versucht, zurückzuweichen. Im selben Moment jedoch vermeinte sie abermals die Silhouette Roms zu erschauen; dazu fahlen, aus der Stadt quellenden Brodem, der ein blasphemisches Ungeheuer auszugebären schien. Instinktiv straffte sich der Körper der jungen Frau; mit blitzenden Augen nahm sie die Herausforderung an, ihre Willenskraft ließ die molochische Kreatur in ihren Ursprung zurückwirbeln – und während das Widergöttliche verwich, stieß Branwyn hervor: »Ja, ich werde den Kampf aufnehmen!«
    Kaum war das letzte Wort verklungen, begann sie am ganzen Leib zu zittern und brach in die Knie. Aus ihrer Trance erwachend, hatte sie den Eindruck, als würde das Wasser des Teiches unter andersweltlichem Leuchten aufwallen. Gleich

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