Die Bischöfin von Rom
zog er eines Frühlingstages in Jerusalem ein.
Branwyn vernahm den Jubel der Bevölkerung in den Gassen der jüdischen Hauptstadt. Die Menschen schwenkten Palmwedel zur Begrüßung Jeschus, an dessen Seite nun eine junge Frau mit langem, ebenholzschwarzem Haar ging; einige Male, während der Zug sich in Richtung des Tempelberges bewegte, umarmte er seine Gefährtin, deren Name Mirjam von Magdala lautete, und küßte sie. Hingabe und Zärtlichkeit strahlten aus ihren Augen; dann jedoch – die Zeit schnellte um ein weniges weiter – senkten sich finstere Schatten über die Stadt.
Aus einer Burg mit mächtigen Quadermauern strömten Legionäre; die Soldaten marschierten zu einem Ölbaumhain, und ihre Lanzenspitzen blitzten im flackernden Schein der Feuerbrände, die sie mit sich trugen. Es kam zu einem kurzen Handgemenge, weil einer der Jünger Jeschus diesen zu schützen versuchte; gleich darauf war der Galiläer gefesselt und wurde von den Römern zu deren Festung geschleppt. Erschüttert fand Branwyn sich im Inneren des Kastells wieder; sie erblickte den römischen Procurator, der das Mal des Weißen Drachen auf der Stirn zu tragen schien; rot hingegen floß das Blut aus den Wunden Jeschus, als die Folterknechte ihn geißelten.
Am nächsten Morgen erreichte das Grauen seinen Höhepunkt. Von einem Hügel namens Golgota außerhalb der Stadtmauern, zu dem die Legionäre den Galiläer jetzt trieben, erklangen schwere Hammerschläge; mehrere Kreuze wurden dort aufgerichtet, an einem davon sollte Jeschu sterben. Geschwächt durch die Tortur taumelte er den steinigen Hang hinauf; alle seine Jünger bis auf einen waren mittlerweile aus Jerusalem geflohen, nur seine Mutter sowie Mirjam von Magdala und einige weitere Frauen begleiteten ihn zur Hinrichtungsstätte. Jetzt, während die Nägel durch seine Hand- und Fußgelenke getrieben wurden, war es, als würde weiblicher Wille ihn bannen und ihm auf seltsame Art Stärke für das nun Unausweichliche schenken: Kraft, den Tod anzunehmen und sich ihm nicht zu widersetzen, damit seine Qualen nicht länger als nötig währen sollten.
In ihrer Vision kam es Branwyn so vor, als hüteten die nunmehr schweigend ausharrenden Frauen sehr geheimes Wissen, und dieser Eindruck vertiefte sich im selben Augenblick, da Mirjam von Magdala, deren eben noch junges Antlitz plötzlich verblüffende Ähnlichkeit mit dem altersweisen Gesicht Albas besaß, ihrem Geliebten einen auf eine Gerte gespießten Schwamm an die Lippen führte. Jeschu – die Sonne hatte inzwischen ihren Höchststand erreicht – saugte die darin enthaltene sämige Flüssigkeit; im nächsten Moment lief ein Zittern über seinen Leib, und nach einer Weile erschlaffte sein Körper. Der Galiläer starb; Branwyn aber vermeinte eine tröstende Stimme zu hören, die ihr sagte, daß das Leben nicht völlig aus ihm gewichen war.
Anschließend stürmten die Bilder rascher als zuvor auf sie ein. In Begleitung eines römischen Centurio erschien Jussuf von Arimathea; er gab dem Offizier Gold, woraufhin dieser den Befehl erteilte, den Leichnam vom Kreuz abzunehmen. Sofort kümmerten Mirjam von Magdala und die übrigen Frauen sich um Jeschu; unmittelbar darauf wechselte der Schauplatz, die Frauen hatten den leblosen Körper in eine Grabhöhle gebracht. Intensiver Kräuterduft erfüllte den kleinen Raum; es handelte sich um Pflanzen mit starken Heilkräften, und der reglose Leib wurde damit behandelt. Im Verlauf der folgenden zweiundsiebzig Stunden wachten entweder seine Mutter oder Mirjam bei Jeschu; in regelmäßigen Abständen kamen und gingen sie durch den Eingang der Grabkammer, der sich durch einen Rollstein verschließen ließ. Am Ende der dritten Nacht schließlich lief abermals ein Zittern durch die Glieder des Galiläers; als er die Lider öffnete, brach Mirjam, die an seiner Seite saß, in Tränen aus.
Branwyns Vision wurde undeutlich; jetzt hatte sie das Gefühl, die Zeit würde rasend schnell verstreichen. Stimmen wurden laut, die von Mal zu Mal eifernder verkündeten, ein Mann mit Namen Jeschu oder Jesus sei am Kreuz gestorben, sei danach wieder von den Toten auferstanden und so zum Halbgott oder gar Gott geworden. Gleichzeitig jedoch sah sie den, der gemeint war, deutlich gealtert entlang endloser Karawanenstraßen reisen: einem mächtigen Gebirge entgegen, das weit östlich von Jerusalem auf einem anderen Erdteil lag. In Judäa wiederum und bald auch in den benachbarten Ländern wurde nun immer häufiger von Jeschu
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