Die Bismarcks
entschlossene Hitler-Gegnerin. Eigentlich wollte sie schon Ende der 1920er-Jahre, die Katastrophe kommen sehend, mit Mann und Kindern Deutschland verlassen. Aber dann traf sie ein harter persönlicher Schicksalsschlag. Nach dem 30. Januar 1933 war sie bereit, als gesellschaftliche Außenseiterin in einem selbst gewählten inneren Exil zu leben. Angst vor dem Terrorregime hatte sie nicht.
Hannah Leopoldine Alice Gräfin von Bismarck kam am 22. November 1893 als Kind von Marguerite Gräfin von Hoyos und Herbert Fürst von Bismarck in Schönhausen zur Welt. 7 Sie hatte somit väterlicherseits ein bildungsbürgerlich-märkisches und mütterlicherseits ein österreichisch-englisches Erbe. Wie ihre vier Geschwister – Goedela, 1896 geboren, gefolgt von Otto, 1897 geboren, Gottfried, Jahrgang 1901, sowie Albrecht, 1904 auf die Welt gekommen – hatte Hannah einen enge Beziehung zur Mutter. Aber auch der Vater kümmerte sich liebevoll um seine Kinder. Herberts berufliche Belastung hatte sich erheblich reduziert, seit er sich relativ früh zur Ruhe gesetzt hatte. Er hatte viel Zeit für seine Kinder. Hannah galt seine besondere Zuneigung, denn sie war auf einem Auge blind, auf dem anderen stark kurzsichtig. Zusätzlich litt sie unter dem für ein junges Mädchen besonders schweren Handicap eines riesigen Geburtsflecks, der von der Schulter über den gesamten linken Arm bis zu den Fingerspitzen reichte. Hannah ging durch grässliche Torturen, als der Leibarzt der Familie, der schon bekannte Doktor Schweninger, den abenteuerlichen Versuch unternahm, mit Radikalkuren den Leberfleck auszubleichen. Er verschlimmerte stattdessen den Zustand.
Bis zum fünften Lebensjahr sprach Hannah, die in Schönhausen groß wurde, nur französisch und englisch. Eine französische und eine englische Gouvernante brachten ihr die beiden Fremdsprachen bei. Erst danach wurde sie mit der Muttersprache Deutsch vertraut gemacht, ein Erziehungsgrundsatz in der Familie Bismarck. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester erlebte sie eine behütete Kindheit an der Elbe, ehe die Familie nach dem Tod des Reichskanzlers 1898 nach Friedrichsruh zog. Dort erhielten die Enkel Bismarcks Unterricht durch Privatlehrer. Die Kinder sprachen viel Englisch miteinander und auch mit ihrer Mutter und setzten dies im Erwachsenenalter fort. Hannah spielte Klavier und hatte eine schöne Stimme. Sie weiter auszubilden, Gesangunterricht zuzulassen, verstieß jedoch gegen die damaligen Konventionen.
Hannah war alt genug, um eine bleibende Erinnerung an ihren Großvater, den Reichskanzler, zu bewahren: Bei einem Frühstück mit der Kinderfrau war der Alte unvermittelt in den Raum getreten und hatte sie ermuntert, das französische Kindergedicht »La cigale et la fourmi« aufzusagen, was Hannah mit Bravour getan hatte. Ihren Kindern konnte sie daher den großen, stattlichen Mann gut beschreiben. Der ehemalige Reichskanzler hatte Hannah herzig gefunden, und sie erinnerte sich später, dass sie, wenn er sie zu sich hochzog, zunächst nur einmal Stiefel, Stiefel, nichts als Stiefel gesehen hatte. Sie hörten einfach nicht auf. Der Großvater hatte in Friedrichsruh eine Badewanne mit enormen Ausmaßen benutzt, und da der Wannenrand sehr hoch lag, hatte er sich von einem Tischler ein Treppchen anfertigen lassen, um hineinzugelangen. Seinen Enkeln kam das Bad wie ein Schwimmbecken vor. Im Garten, so erinnerte sich Hannah, hatte sie mit ihren Geschwistern die Mündungen der Kanonen zugestopft, die dort als Erinnerungsstücke herumstanden. 8
Hannah lernte leicht und hatte glänzende Noten, vor allem in den Fächern Latein, Deutsch und Geschichte. Sie wollte auch Griechisch lernen, aber das wurde ihr nicht gestattet, weil eine Überanstrengung des schwachen Auges befürchtet wurde. Als Hannah als Externe das Abitur ablegen wollte, scheiterte sie an der ungewöhnlichen Prüfungssituation. Sie saß vier Herren gegenüber, die eigens nach Friedrichsruh gekommen waren. Der Examensstress überforderte das Mädchen, das bislang nur von Privatlehrern unterrichtet worden war. Schweren Herzens musste sie aufgeben: eine zweite Chance gab es nicht.
Hannahs große Sprachkompetenz zeigt sich in ihren Tagebüchern, in denen sie wie ihr Großvater mühelos von der Muttersprache im nächsten Satz ins Lateinische und dann ins Englische oder Französische wechselt.
Männliche Bismarcks wurden in der Regel Juristen, weibliche Bismarcks gemäß den Konventionen der Zeit rasch verheiratet. So ging es
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