Die Bismarcks
deutlich mehr, als ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprach. Und für keine andere soziale Gruppe in Deutschland war der Absturz so tief wie für diese kleine, aber bislang die Gesellschaft dominierende Elite.
Wie viele andere befanden sich die Bismarcks daher in einer Situation des Abwartens. Sie sahen Deutschland in einer Übergangssituation, auf dem Weg zurück zu politischen Verhältnissen, in denen sie eine herausragende Rolle spielen würden. Die Bismarck-Enkel der Schönhausener und Jarchliner Linie hatten ihre entscheidenden, prägenden Jahre noch im Kaiserreich erlebt. Entsprechend groß waren bei ihnen, wie auch bei den älteren Bismarcks, die Vorbehalte gegenüber der Weimarer Republik. Infolge einer sich als falsch herausstellenden Vermögens- und Anlagepolitik waren Teile der Familie Bismarck nun aber auch von massiven, bislang unbekannten Wohlstandsverlusten bedroht. Den jungen Männern stand immerhin die Offiziers- und Diplomatenlaufbahn weiterhin offen.
Wichtig für die Schönhausener Bismarcks, wenn auch nicht im Mittelpunkt ihrer Überlegungen, blieb der Kampf um das Bismarck-Bild in der Gegenwart, das Bemühen, dem Reichsgründer historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ging aber auch um subtile Rache für die Demütigungen anlässlich seiner Entlassung. Der Reichskanzler und sein Sohn waren posthum in ihrer Ablehnung des Kaisers bestätigt worden, als sich Wilhelm II. am Ende des Krieges wie ein Fahnenflüchtiger nach Holland abgesetzt hatte, was den preußischen Adel in einen Schockzustand versetzte. Den Familien nahestehende Historiker erhielten Zugang zu den Familien- und Gutsarchiven: Erich Marcks und Gerhard Ritter in Schönhausen und Friedrichsruh, Wolfgang Windelband in Varzin. 1
All diese Faktoren – gesellschaftlicher Absturz, unerwartete finanzielle Sorgen und der Kampf um das historische Erbe – machten die Bismarcks in der Weimarer Republik anfällig für Umarmungsversuche der politischen Rechten. Teile der Familie begaben sich auf den Weg »vom König zum Führer« und traten der NSDAP bei. Diese beutete das Bismarck’sche Erbe schamlos aus. Ein verletztes Gerechtigkeitsgefühl, die ungeliebte erste deutsche Republik mit ihrem fehlenden Verständnis für Pomp und Dekor sowie eine ungebrochene Autoritätsgläubigkeit taten ein Übriges, um das Schiff der Bismarck-Frauen ins Schlingern zu bringen. Die Hauptverursacher waren jedoch die jungen Bismarck-Männer. Ohne Halt und Orientierung am Monarchen, für den alten Bismarck von grundlegender Bedeutung, entstand ein Vakuum, das Hitlers Bewegung vorübergehend auffüllen konnte. 2
Auch die Veränderungen innerhalb der Familie sind nicht zu übersehen. Das bislang dominante Bismarck’sche Element, das märkisch-menkensche, pommersch-protestantische Erbe trat zurück. Neue Einflüsse englisch-österreichischer Provenienz kamen hinzu. Auch eine gewisse Erschöpfung, wie man es in der Drei-Generationen-Betrachtung großer Familien häufig erlebt, ist zu konstatieren – das Buddenbrook-Syndrom. 3 Gleichzeitig weiteten sich die Horizonte der Bismarcks aus. Sie waren Zeugnisse »einer mondänen Sozialisation jenseits der sprichwörtlichen Roggenfelder Ostelbiens«. 4 Der Fixpunkt England, der für die Familientradition wichtig blieb, wurde um Europa und die USA erweitert. Ein kluger Beobachter, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtete Botschafter beim Quirinal Ulrich von Hassell, hat dazu festgestellt: »Die Bismarckenkel sind weit mehr Hoyos als Bismarck, aber auch ihre Mutter ist mehr Persönlichkeit als sie. Hannah Bredow und auch die Gräfin Keyserling (Anm. des Verf.: Goedela, die jüngere Schwester von Hannah) … haben mehr vom Großvater geerbt …« 5 Hassell meinte damit den ehemaligen Reichskanzler.
Die historische Gerechtigkeit verlangt es, sogleich hinzuzufügen, dass sich die fünf Kinder von Herbert 6 mitunter spät, aber insgesamt rechtzeitig aus der Umarmung durch die Nationalsozialisten befreit haben. Um sie wird es in der Folge gehen. Gottfried brauchte dafür am längsten, setzte schließlich aber sein Leben dafür ein. Am wenigsten sichtbar war die Abkehr von den Nationalsozialisten bei Otto, familienintern Otto II. genannt. Aber auch er vollzog letztlich einen eindeutigen Bruch mit dem Nationalsozialismus, wie dies Albrecht, der jüngste der Brüder, bereits 1934 getan hatte.
Leuchtender Stern am Familienhimmel war jedoch Herberts älteste Tochter Hannah. Sie war von Anfang an eine
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