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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Thies
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Deutschland.
    Das Gewicht von Staaten, die Bedeutung ihrer Politiker, wird in der Regel über die Außenpolitik definiert, auch mit dem Gewinn von Kriegen, die nicht immer gerecht waren, die entgegen der allgemeinen Annahme nicht der Vergangenheit angehören, und die es weiterhin geben wird. Und: Großbritannien und Frankreich haben Churchill und de Gaulle ihre »Jugendsünden« ebenso verziehen wie die Fehlgriffe, die sie sich als erwachsene Männer in der Innenpolitik leisteten. Was für »historische Größe« in unseren beiden wichtigsten Nachbarländern gilt, könnte damit auch für Deutschland gelten. »Größe« definiert Burkhardt mit »Einzigkeit, Unersetzlichkeit«. »Kein Mensch ist unersetzlich«, schreibt er weiter: »Aber die wenigen, die es eben doch sind, sind groß.« 83
    Einen besseren Außenpolitiker als Bismarck hat Deutschland nie gehabt. Henry Kissinger hält ihn für »die bestimmende Figur der europäischen Diplomatie« bis zum Jahre 1890. Und der britische Historiker A. J. P. Taylor, nicht gerade als Deutschenfreund bekannt, ergänzte diese Einschätzung so: »Bismarck hatte ein tiefes Gefühl für moralische Verantwortlichkeit, das gewiss tiefer als das irgendeines anderen Staatsmannes seiner Zeit war.« Nur Konrad Adenauer und Helmut Schmidt hatten als deutsche Bundeskanzler und Nachfolger Bismarcks den »kalten Blick«, der für eine zutreffende Analyse der Außenpolitik so wichtig ist.
    Unter solchen Umständen waren die lebenslangen persönlichen Freundschaften Bismarcks mit Angelsachsen ebenso wenig ein Zufall wie die generelle Einschätzung Englands, die Bismarck 1857 in seiner Korrespondenz mit Leopold von Gerlach formulierte. Die dort zum Ausdruck gebrachte »Liebeserklärung« an England ist von den deutschen Historikern übersehen worden. Sie gipfelte in der Sonderrolle, die Bismarcks Sohn Herbert im deutsch-englischen Verhältnis der 1880er-Jahre spielte. London war zu Bismarcks Zeit das Zentrum der Weltpolitik. Bismarck dachte in der Außenpolitik wie ein Brite oder Amerikaner. Er teilte nicht das Wunschdenken, die Sentimentalität und den Romantizismus seiner Landsleute in internationalen Fragen. Er war in der Außenpolitik ein Mann der Mitte, gleichzeitig ein Anführer, wie seine Rolle beim Berliner Kongress 1878 zeigte.
    Mühsam begreift die Nation in diesen Jahren, dass sich die Themen des 19.   Jahrhunderts wiederholen und dass damit die alten Probleme der Bismarck-Zeit den Deutschen erhalten geblieben sind: die Mittelage, das ökonomische Gewicht, die Dynamik, die Einwohnerzahl, die Rolle des Militärischen und ein allzu gering ausgeprägtes Verständnis für außenpolitische Belange. Bismarck bleibt eine preußisch-deutsche Ausnahmepersönlichkeit.

Die Enkel
    Das Intermezzo der Frauen
    Vom Herbst 1904 an wurde das Erbe des Reichskanzlers und seines Sohnes von drei Frauen und einem Mann verwaltet. Fast ein Vierteljahrhundert lang, zwischen 1904 und 1920, war das Haus in einer noch stark männerbestimmten Gesellschaft nicht durch einen Fürsten repräsentiert. Marie, die Tochter Bismarcks, engagierte sich ebenso wie ihr Mann, Kuno Graf von Rantzau, der dem Alten als Sekretär »zur Hand gegangen« war. Außerdem kümmerten sich die Witwen von Bill und Herbert, Sybille und Marguerite, um die Hinterlassenschaft. Marguerite tat dies vor allem als Vormund ihrer Kinder. Ihr zweitjüngster Sohn Gottfried erfasste die neue Lage, als ihm bei Tisch die Bemerkung entschlüpfte: »Wie angenehm ruhig ist es, seitdem Papa tot ist.«
    Marguerite, die ihren wesentlich älteren Mann den »herrlichen Herbert« genannt hatte, führte ein Leben nach dem Motto »Adel verpflichtet«. Haltung und Akkuratesse zählten für sie dazu, eine erstklassige Erziehung als Vorbereitung auf die Rolle als Herrin, eine standesgemäße Heirat sowie die Geburt eines Stammhalters. Das Weltbild von Marguerite und ihr Selbstverständnis können getrost als wertkonservativ bezeichnet werden. Sie sah ihre Funktion als Gutsherrin im engeren Umfeld mit Aufgaben in der Familie und sozialer Verantwortung für die Bediensteten.
    Im Laufe der Jahre scheint die Verbindung zwischen der Schönhausener Linie von Marguerite und der Varziner Linie von Sybille abgerissen zu sein. Der letzte Besitzer von Varzin, Rule Graf von Bismarck, starb 1991 kinderlos in Chile.
    Das Jahr 1918 bildete für die Bismarcks wie für den deutschen Adel insgesamt eine dramatische Zäsur. Knapp 5000 Adlige waren im Ersten Weltkrieg gefallen,

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