Die Bismarcks
die Enkelin des Reichskanzlers bei der Bewältigung der täglichen Pflichten und Aufgaben. Zu ihr gehörten Diener Karl, Chauffeur Kielinski, der den Buick der Familie steuerte und mit seiner Frau in einem Nebenhaus wohnte, die Köchin und ein Küchenmädchen, dazu fünf Hausmädchen, eine Nurse und eine französische Gouvernante.
Hannahs Tagesablauf folgte einem mehr oder weniger festen Plan, beginnend mit gymnastischen Übungen, Streck- und Dehnübungen sowie 70 Kniebeugen. Sie stand um 8.30 Uhr auf und hielt eine Teestunde mit ihrem stets glänzend aufgelegten Mann. Oft wollte Leopold spontan mit ihr tanzen, sie aber dagegen zu Ende frühstücken. Ein einstündiger Spaziergang schloss sich an. Dann machte sich Hannah für die Einladung zum Lunch fertig. Zum Nachmittagstee kamen Gäste. Die Kinder mussten vorübergehend das Spiel im Sandkasten beenden, sie wurden gebadet, in Spitzenkleidchen gesteckt und den Gästen vorgestellt. Anschließend durften sie zurück in den Garten. Jeden Nachmittag und Abend saß Hannah am Schreibtisch und bewältigte ihre gigantische Korrespondenz. Vor zwei Uhr nachts ging sie nie zu Bett.
Die wirtschaftliche Situation der Familie während der Weimarer Republik war schwierig, denn das amerikanische Vermögen, das Leopold von Bredow durch seine erste Verbindung geerbt hatte, war beschlagnahmt. Die Bredows lebten somit zwei Jahre lang auf Pump dank eines Kredits, den die Deutsche Bank gewährt hatte. Als Hannah in den Tagen der Hyperinflation 20 Dollar von Verwandten aus Amerika erhielt, marschierte sie zur Bank und fragte nach dem Schuldenstand. Es war eine unvorstellbar lange Abfolge von Zahlen. Hannah legte ihre »Greenbacks« auf den Tisch, bezahlte die während der beiden Jahre aufgelaufenen Schulden und erhielt sogar noch deutsche Inflationswährung zurück.
Die Ehe mit dem wesentlich älteren, von seinen Interessen her ganz anders eingestellten Mann war schwierig. Hannah war kühl, zu den Kindern streng, er warmherzig und charmant. Während Leopold, genannt »Molly«, Golf spielte und mitunter wochenlange Jagdreisen unternehm, pflegte die intellektuell orientierte Hannah die Gesellschaft mit vielen Politikern und Künstlern der Weimarer Republik. Trotz ihrer schwierigen finanziellen Lage unterhielten die Bredows ein offenes Haus in der Wörther Straße, wie die Menzelstraße damals hieß. Besonders wichtig für Hannah wurde die Freundschaft und Korrespondenz mit Dr. Sydney Jessen. Während der Abgeordnetentätigkeit ihres Bruders Otto war er dessen Assistent und Privatsekretär gewesen. Der ehemalige Marineoffizier, ein Jahr älter als Hannah, arbeitete auch in einem deutsch-französischen Kulturprojekt mit. Es sollte die deutsch-französische Annäherung dieser Jahre begleiten, gipfelnd in der Begegnung zwischen Stresemann und Briand in Thoiry am Genfer See. Später schloss sich Jessen der NSDAP an und wurde Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er für die Abwehr und war Mitglied der Berliner »Mittwochsgesellschaft«. Er sympathisierte mit den Männern des 20. Juli 1944.
Selbst in der Fachliteratur wird er oft mit seinem Namensvetter Jens Peter Jessen verwechselt. Der Wirtschaftswissenschaftler, der zum engeren Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 gehörte und später hingerichtet wurde, war ebenfalls Mitglied der Mittwochsgesellschaft, einem Zusammenschluss von 16 Experten unterschiedlichster Fachgebiete, die sich zweimal im Monat trafen. Die Mittwochsgesellschaft existierte von 1863 bis 1944.
1928 verbesserte sich die finanzielle Lage der Familie Bredow schlagartig, als das amerikanische Erbe von Leopold freigegeben wurde. Spontan unternahm die Familie eine halbjährige Weltreise, die bis nach Hawaii führte. Ein Jahr später wurde die Potsdamer Villa im Bauhausstil umgebaut. Architekturexperten haben diese Entscheidung von Hannah kritisiert. Der Charme des alten Gebäudes war dahin.
Die politisch wache Hannah sah zusammen mit ihrem Mann sehr früh die Krise und das Ende der Weimarer Republik heraufziehen. Beide waren entschiedene Hitler-Gegner. Schon 1928 kaufte Leopold dank des unerwarteten Geldsegens aus den USA das Chalet »L’Espérance« im Schweizer Les Diablerets. Hannah sollte dort mit der Kinderschar notfalls Zuflucht finden, falls die Nationalsozialisten an die Macht kämen. Mit Argwohn verfolgte Hannah die ersten Kontaktaufnahmen ihrer Familie zu den Nationalsozialisten Anfang 1932. Wegen
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