Die bitter sueße Fortsetzung
will, dass wir vor Ostern zunächst 50 seiner Filialen beliefern. Zwölf Sorten a vierundzwanzig Einheiten. Das macht 14.400 Gläser plus 6000 Stück von den Kleinaufträgen. Das ist nicht zu schaffen.«
»Es sei denn...?« Ich überlege kurz und antworte
»Es sei denn, ich habe mindestens drei Vollzeit Helfer und eine professionelle Abfüllmaschine.«
»Die wie viel kostet?«
»Nen Appel und nen Ei. Ich werde mir einfach eine mieten! Sollte es tatsächlich zu weiteren Folgeaufträgen kommen, kann ich immer noch in eine eigene investieren.«
»Das ist meine Lotte Talbach von früher. Genau Schatz, pack es an.«
»Danke Mr. Motivation.«
Anja hat auch einen furchtbaren Kater. Mit Freude nehme ich zur Kenntnis, dass sie ihre Auszugspläne zunächst noch einmal verschoben hat. Meine Bitte, mir vorübergehend in Vollzeit unter die Arme zu greifen, kommt ihr wie gerufen. Nach vier Wochen Abstand wird Gerald sich gründlich überlegen, ob er es noch einmal wagt, so mit ihr zu sprechen. Außerdem hat sie ihrem Frischangetrauten heute Morgen mitgeteilt, dass er künftig seinen Kaffee ohne sie im Restaurant trinken muss, wenn ihm an der Fortsetzung der Ehe gelegen ist. Und am Montag soll er sich einen Termin beim Kieferorthopäden besorgen, der dieses grausige Knacken abstellt. Mit Ausnahme der Gold Edition liegen bereits alle Kuschelrock CDs im Müll. Ich lache laut auf und schüttel den Kopf über ihre morgendliche Kampfansage.
»Sag mal, kann ich deine Räume nebenan als Zwischenlager benutzen? Oder wann ziehen die neuen Eigentümer ein?« Sie verspricht, nachzufragen und wünscht ein schönes Wochenende.
Der Samstag verläuft in inniger Zweisamkeit. Den Sonntag verbringen wir im Kreise unserer Großfamilie beim Brunch in der Alten Mühle. Julian ist auch mit den Enkeln gekommen und lernt Sunny das erste Mal kennen. Gerald bietet an, dass wir montags an seinem Ruhetag in seine Küche ausweichen dürfen.
»Da habt ihr mehr Platz und wenn es hilft, gehe ich euch gern zur Hand.« Ich finde sein Angebot wirklich nett, aber Anja fährt ihm gleich über den Mund.
»Bisher haben Lotte und ich jeden Auftrag ohne dich geschafft. Also halte dich zurück.« Dass die beiden gerade drei Monate verheiratet sind, wird kein Außenstehender glauben. Frisch verliebt, sieht anders aus.
Viertausend Kilo Senf in dreißig Arbeitstagen, wenn wir die Samstage mitrechnen. Mehr als 600 Gläser täglich schaffen Maria, Anja und ich nicht, auch wenn wir uns noch so sehr bemühen. Wenn die beiden Frauen nach elf Stunden gegen 19.00 müde in den Feierabend aufbrechen, fängt für mich die zweite Runde an. Ich etikettiere bis weit nach Mitternacht und schleppe die schweren Kartons im Dunklen hinüber ins leere Nebenhaus und mache sie versandfertig. Drucke Rechnungen aus und trage die Verkäufe in mein Verwaltungsprogramm ein. Carlotta, die Starke, geht schon am Stock und auch Marias Das schaffen wir schon Parolen , ändern nichts daran, dass wir auf eine Katastrophe zulaufen. Gestern hat mich der Kurierfahrer lauthals angepöbelt, dass ich bei der Vielzahl der Kartons, vorher hätte Bescheid sagen müssen.
»Dann hör gut zu. B.E.S.C.H.E.I.D.! Wenn ich nur ein Paket pro Tag versenden würde, dann bräuchte ich keinen Paketdienst, sondern würde mir eine Brieftaube anschaffen. Also sieh zu, wie du meine Ware heute transportierst. Und gehe sorgsam damit um. Solltest du in deiner Wut nur eines meiner Pakete werfen oder fallen lassen solltest, dann lernst du mich richtig kennen.«
Der Ton im Hause Talbach wird zunehmend rauer. Ich schlafe nur noch vier Stunden pro Tag und arbeite zwanzig. Meine Enkel habe ich schon seit drei Wochen nicht mehr gesehen und auch Martins Gesicht bildet sich nur schemenhaft aus der Erinnerung vor meinem inneren Auge ab. Er ist seit Tagen in Sachen Cebit in Hannover unterwegs. Jeder meiner Arbeitsgänge wird durch das Telefon unterbrochen. Viele Neukunden rufen an, die auch noch eine umfangreiche Beratung von mir erwarten. Kurt wird seit Tagen von den Affenkindern ausgeführt und ich habe schon eine Woche lang keine warme Mahlzeit mehr zu mir genommen. »Vergesst es«, rufe ich völlig aufgelöst. »Das ist nicht zu bewältigen. Ich habe es gleich gewusst und mich doch breitschlagen lassen. Sollen Sie mich doch verklagen!« Völlig erschöpft und am Rande eines Nervenzusammenbruchs breche ich auf dem Arbeitstisch zusammen. Statt tröstender Arme, die ich von Anja
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