Die blaue Liste
auf Rohwedder war tödlich. Er zerstörte vier lebenswichtige Organe: Aorta, Speise-
und Luftröhre sowie das Rückgrat. Der Treuhandpräsident war tot, bevor er zu Boden stürzte. Er war nicht mehr in dem hochtechnischen
Zielfernrohr des Täters zu sehen, als dieser ein zweites Mal schoss und die ins Zimmer stürzende Ehefrau desTreuhand-Präsidenten am Arm verletzte. Dann gab der Mörder einen weiteren »sinnlosen« Schuss in das Bücherregal ab. Warum?
Vielleicht um den professionellen Charakter des ersten Schusses zu verdecken?
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Als ich mich bereits mit diesem Stoff beschäftigte, veröffentlichte das Bundeskriminalamt am 16. Mai 2001 eine Presseerklärung,
in der behauptet wurde, das BKA habe nun, nach mehr als 10 Jahren, ein Haar molekulargenetisch untersucht, ein Haar, das in
einem Handtuch gefunden wurde, das am Tatort lag, unweit vom Bekennerschreiben. Das Haar sei zweifelsfrei dem mit Haftbefehl
gesuchten und in Bad Kleinen zu Tode gekommenen Wolfgang Grams zuzuordnen. Auf meiner Homepage (www.schorlau.com) findet der
Leser einen Link zu dieser Presseerklärung sowie eine Vielzahl von Materialien, auf die ich »Die Blaue Liste« stütze.
Wolfgang Grams ist vor allem durch die Arbeiten von Andres Veiel, sowohl durch dessen Film Black Box BRD als auch durch das gleichnamige Buch (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 2002), das bestbeschriebene RAF-Mitglied. Er tritt
uns im Film und in Veiels Buch als typischer 70er-Jahre-Junge entgegen, der harte Konflikte mit den Eltern (vor allem mit dem Vater) austrägt, gerne
einen Joint raucht, auf der Gitarre klampft, sich durch die Wiesbadener Wohngemeinschaften vögelt und sich zunehmend radikalisiert.
Aber: ein Scharfschütze? Ist er jemand, der aus einer Distanz von fast 70 Metern von einem Gartenstuhl aus einen solchen Meisterschuss
anbringen kann? Scharfschütze zu sein erfordert Training und Übung und ist mit einem Lehrberuf gleichzusetzen. Wann soll er
das gelernt haben?
Die Arbeiten von Veiel waren mein wesentliches Material für die Schaffung der Figur des Uwe Krems. Ich lege Wert auf die Bemerkung: Für die Figuren
von Krems' Eltern und auch für Kerstin gab es keine Vorbilder; sie sind reine Erfindung – und auch Krems ist nicht Grams.
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Wenn man über Rohwedder schreibt, muss man auch über Bad Kleinen schreiben. Die Vorgänge auf dem Bahnhof dieses kleinen Ortes
bei Wismar sind offiziell nicht aufgeklärt, aber es existieren verschiedene Versionen der Geschehnisse vom 27. Juni 1993.
Die wichtigsten davon kann man auf meiner Homepage (www.schorlau.com) nachlesen, aber die lächerlichste ist die offizielle:
Grams habe, unmittelbar nachdem er angeschossen wurde, im Fallen rückwärts sich selbst erschossen.
Die meisten Medien berichteten über die Erschießung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen als chaotisch abgelaufene Polizeiaktion.
Vielleicht aber ist alles ganz planmäßig verlaufen. Wir wissen es nicht, und wahrscheinlich werden wir es so lange nicht wissen,
bis einige der an der Aktion beteiligten Beamten mannhaft genug sind, ihre Erlebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
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Der Mord an Detlef Carsten Rohwedder – dazu gibt es zwei Erklärungsversionen: die offizielle, die der RAF den Mord zuschreibt,
und eine weitere, die hartnäckig behauptet, dies sei eine Geheimdienstoperation gewesen. Letztere erhält zunehmend Unterstützung,
zuletzt von Andreas von Bülow, ehemals Staatssekretär und Minister im Kabinett von Helmut Schmidt und unter anderem Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission
des Bundestags für die Geheimdienste (Im Namen des Staates. CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, Piper 2000).
Falls es die RAF war, kommt zu der Empörung über diesen feigen Mord das Kopfschütteln über die maßlose Dummheit der Täter,
die offensichtlich nicht wussten, wem oder was sie den Weg freischossen.
Der Autor kann nur eine Geschichte erzählen, aber wenn Polizei, Justiz und Politik versagt haben, muss es dem Geschichtenerzähler
erlaubt sein zu sagen: Es ist nur eine Geschichte, aber vielleicht war es so.
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Hilfen
Beim Schreiben dieses Buches lieferten eine Reihe von Arbeiten wertvolle Hilfen. Auf Das RAF-Phantom von Wisnewski/Land graeber/Sieker (Knaur 1997) stützte ich mich bei der Beschreibung des Attentats und der Abfassung des Bekennerschreibens. Die Skizzierung
der Politik von Rohwedders Nachfolgerin durch Paul Stein ist
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