Die blaue Liste
angebracht. Dengler sah Rosen aus Hegnach, Sumpfpflanzen aus Benningen, Usambaraveilchen aus Schöneich.
Neben einem Imbisswagen fand er den Stand der Gärtnerei Roth.
Dengler stellte sich einem älteren Mann vor, der mit wachem Gesicht die vorbeiziehenden Kunden musterte.
»An die beiden Bünde Calendula erinnere ich mich gut«, sagte der Mann.
»Bekommen Sie öfters solche Aufträge?«, fragte Dengler.
Der Mann kicherte.
»Nein, das war nur eine Gefälligkeit für unseren italienischen Händler. Der rief mich an und bat mich, die Bünde an ein Blumengeschäft
in Stuttgart weiterzugeben, das einen schönen Strauß daraus machen und sie auch sicher abliefern würde.«
»Verraten Sie mir die Adresse Ihres italienischen Händlers?« Der Mann nickte und zog aus der Gesäßtasche ein zerfleddertes
Notizbuch, schlug eine Seite auf und zeigte sie Dengler.
»Sonst kaufen wir unsere italienischen Blumen nur aus San Remo. Dieser Händler kommt aus ... Schreiben Sie's selber ab – das
Italienische ist nix für mich.« Dengler schrieb die Adresse eines Blumengroßhändlers in der Nähe von Siena in sein Buch.
Dann fragte er den alten Mann: »Fiel Ihnen an den Sträußen irgendetwas Besonderes auf?«
»Gute Ware«, sagte der Mann. Dann: »Von diesem Erzeuger haben wir weder vorher noch nachher Ware bekommen.«
»Sie meinen: Sie können den Blumen ansehen, von welchem Gärtner sie kommen?«
Der Mann nickte.
»Schauen Sie«, sagte er, »jeder Gärtner bindet seine Sträuße mit einem anderen Material.«
Er fischte einen Bund Gerbera aus einem schwarzen Plastikeimer.»Wir verwenden immer das breite weiße Gummiband«, sagte er und zeigte es Dengler.
»Der da«, der Mann deutete auf den Stand nebenan, »verwendet auch weißes Gummiband, aber dünner – das muss er drei Mal um
die Stiele wickeln. Andere nehmen Klebeband in Blau, andere in Schwarz, manche verwenden noch Draht, aber das stirbt weg –
ist zu teuer.«
»Und die beiden Calendula-Bünde?« Dengler sah den Mann an. Würde er ihm jetzt eine Spur liefern?
»Draht mit Karton drumrum, wie man ihn früher verwendete. Er muss noch einen Rest davon haben. Das verwendet kein Mensch mehr
sonst.«
»Danke«, sagte Dengler, »Sie haben mir sehr geholfen.«
»Wollen Sie ein paar Blumen kaufen?«
»Ja«, sagte Dengler und kaufte dem Mann zwei große Sträuße roter und gelber Rosen ab.
Für Olga, dachte er, und einen für Christiane.
Dann ging er zum Ausgang zurück. Noch zwei Stunden Zeit, dann fuhr sein Zug nach Berlin.
Der Pförtner rief ihm ein Taxi. Er bat den Fahrer, zunächst den Herdweg anzufahren. In der Innenstadt herrschte reger Berufsverkehr,
wie jeden Morgen, und mitten im Wagenburgtunnel standen sie im Stau. Im Schritttempo erreichte das Taxi den Bahnhof, und erst
dann waren die Straßen wieder normal befahrbar. Vor Christianes Wohnungstür legte er einen der beiden Sträuße, zusammen mit
einem Zettel: »Diesmal von mir – Georg Dengler«.
Dann brachte ihn der Wagen zum Basta zurück. Er legte den zweiten Strauß vor Olgas Tür und ging hinunter in seine eigene Wohnung.
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39
Der ICE erreichte den Ostbahnhof pünktlich um 13.04 Uhr. Schönes neues Gebäude, hell und klar; große Halle, viele Läden, wenig
Leute. Irgendjemand musste diese riesigen Einkaufspassagen im Osten doch subventionieren, von den wenigen Leuten, die hier
auf und ab gingen, konnten die nicht leben.
An einer Segafredo-Bar nahm Dengler einen doppelten Espresso mit etwas warmer Milch und rief Mario an.
»Wir fahren nach Italien«, sagte er zu ihm.
»Prima«, freute sich Mario, »wann geht's los?«
Dengler erläuterte ihm seinen Plan.
Dann rief er Olga an.
Sie schien sich über seine Nachfrage zu freuen. Ihre Stimme klang freundlich, wie frisch gebadet.
»Waren die Blumen von dir?«, fragte sie ihn. »Ich habe schon lange keine Blumen mehr geschenkt bekommen.«
Dengler freute sich an ihrer Stimme. Ob sie sich entschieden habe, mit ihm und Mario nach Italien zu fahren?
Ja, sie fahre gerne mit ihm und seinem Freund in den Süden. Merkwürdigerweise rastete sein Herz nicht aus. Er staunte über
sich selbst, weil er nur ein leichtes, betäubtes Gefühl registrierte, während er die Verbindung trennte.
* * *
Taxi in die Mahlbergstraße. Gerne, junger Mann, sülzte der Fahrer.
Plattenbauten. Nicht grau und dunkel, wie er sich die Gegend vorgestellt hatte, sondern in gedämpften Tönen gestrichen, hell,
grün, aber kaum Menschen auf der
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