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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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richtiger, führte ich die Verlustzahlen der polnischen Kavallerie auf und gäbe hier eine Statistik, die eindringlich trocken des sogenannten Polenfeldzuges gedächte. Auf Verlangen aber könnte ich hier ein Sternchen machen, eine Fußnote ankündigen und das Poem dennoch stehen lassen.
    Bis etwa zum zwanzigsten September hörte ich, in meinem Spitalbettchen liegend, die Salven aus den Geschützen jener auf den Höhen des Jeschkentaler-und Olivaerwaldes aufgefahrenen Batterien. Dann ergab sich das letzte Widerstandsnest, die Halbinsel Heia. Die Freie Hansestadt Danzig konnte den Anschluß ihrer Backsteingotik an das Großdeutsche Reich feiern und jubelnd jenem unermüdlich im schwarzen Mercedeswagen stehenden, fast pausenlos rechtwinklig grüßenden Führer und Reichskanzler Adolf Hitler in jene blauen Augen sehen, die mit den blauen Augen Jan Bronskis einen Erfolg gemeinsam hatten: den Erfolg bei den Frauen.
    Mitte Oktober wurde Oskar aus den Städtischen Krankenanstalten entlassen. Schwer wollte mir der Abschied von den Krankenschwestern fallen. Und als mir eine Schwester — ich glaube, sie hieß Schwester Berni oder auch Erni — als mir Schwester Erni oder Berni meine zwei Trommeln reichte, die zerschlagene, die mich schuldig gemacht hatte, und die heile, die ich während der Verteidigung der Polnischen Post erobert hatte, wurde mir bewußt, daß ich während Wochen nicht mehr an mein Blech gedacht hatte, daß es für mich auf dieser Welt außer Blechtrommeln noch etwas gab:
    Krankenschwestern !
    Frisch instrumentiert und mit neuem Wissen ausgerüstet verließ ich an Matzeraths Hand die Städtischen Krankenanstalten, um mich im Labesweg, noch etwas unsicher auf den Füßen des permanent Dreijährigen stehend, dem Alltag, der alltäglichen Langeweile und den noch langweiligeren Sonntagen des ersten Kriegsjahres anzuvertrauen.
    An einem Dienstag im späten November — ich betrat nach Wochen der Schonung zum erstenmal wieder die Straße — traf Oskar Ecke Max-Halbe-Platz — Brösener Weg, mürrisch vor sich hintrommelnd und der naßkalten Witterung kaum achtend, den ehemaligen Priestersemmaristen Schugger Leo.
    Wir standen uns längere Zeit verlegen lächelnd gegenüber, und erst als Leo Glacehandschuhe aus den Taschen seines Gehrockesholte und die weißgelblichen, hautähnlichen Hüllen über seine Finger und Handteller kriechen ließ, begriff ich, wen ich getroffen hatte, was dieses Treffen mir bringen würde — und Oskar fürchtete sich.
    Noch guckten wir uns die Auslagen in Kaisers-Kaffee-Geschäft an, sahen einigen Straßenbahnen der Linien Fünf und Neun nach, die sich auf dem Max-Halbe-Platz kreuzten, folgten dann den gleichförmigen Häusern am Brösener Weg, umrundeten mehrmals eine Litfaßsäule, studierten einen Anschlag, der über den Umtausch des Danziger Guldens in Reichsmark berichtete, kratzten an einem Persilplakat, fanden unter weiß und blau etwas rot, begnügten uns damit, wollten schon wieder zum Platz zurück, da schob Schugger Leo den Oskar mit beiden Handschuhen in einen Hauseingang, griff mit den linken behandschuhten Fingern erst hinter sich, dann unter die Schöße seines Rockes, fingerte in seiner Hosentasche, beutelte die, fand etwas, prüfte den Fund noch in der Tasche und zog, für gut befindend, was er gefunden, den geschlossenen Griff aus der Tasche, ließ den Rockschoß wieder fallen, schob langsam die bekleidete Faust vor, schob immer weiter, drängte Oskar an die Hausflurwand, hatte einen langen Arm — und die Wand gab nicht nach — öffnete erst die fünffingrige Haut, als ich schon glauben wollte: gleich springt ihm der Arm aus dem Schultergelenk, macht sich selbständig, schlägt gegen meine Brust, dringt hindurch, findet zwischen den Schulterblättern wieder hinaus und in die Wand dieses muffigen Treppenhauses hinein — und Oskar wird nie sehen, was Leo im Griff hatte, wird allenfalls jenen Text der Hausordnung im Brösener Weg behalten, der sich vom Text der Hausordnung im Labesweg nicht wesentlich unterschied.
    Kurz vor meinem Matrosenmantel, einen Ankerknopf schon drückend, öffnete Leo die Handschuh so schnell, daß ich seine Fingergelenke knacken hörte: auf stockigem, glänzendem Stoff, der die Innenseite seiner Hand schützte, lag die Patronenhülse.
    Als Leo wieder die Faust machte, war ich bereit, ihm zu folgen. Das Stückchen Metall hatte mich direkt angesprochen. Wir gingen nebeneinander, Oskar an Leos linker Seite, den Brösener Weg hinunter, hielten uns

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