Die Blechtrommel
links mit einer Karte — ich glaube, es war Herz Dame — dem davonfahrenden Sohn und Oskar nachwinkte.
ER LIEGT AUF SASPE
Soeben las ich den zuletzt geschriebenen Absatz noch einmal durch. Wenn ich auch nicht zufrieden bin, sollte es um so mehr Oskars Feder sein, denn ihr ist es gelungen, knapp, zusammenfassend, dann und wann im Sinne einer bewußt knapp zusammenfassenden Abhandlung zu übertreiben, wenn nicht zu lügen.
Ich möchte jedoch bei der Wahrheit bleiben, Oskars Feder in den Rücken fallen und hier berichtigen, daß erstens Jans letztes Spiel, das er leider nicht zu Ende spielen und gewinnen konnte, kein Grandhand, sondern ein Karo ohne Zwein war, daß zweitens Oskar beim Verlassen der Briefkammer nicht nur das neue Trommelblech, sondern auch das geborstene, das mit dem toten Mann ohne Hosenträger und den Briefen aus dem Wäschekorb gefallen war, an sich nahm. Ferner bleibt noch zu ergänzen: Kaum hatten Jan und ich die Briefkammer verlassen, weil uns die von der Heimwehr mit ihrem »Rauss!« und ihren Stabtaschenlampen und Karabinern dazu aufforderten, stellte sich Oskar schutzsuchend zwischen zwei onkelhaft gutmütig wirkende Heimwehrmänner, imitierte klägliches Weinen und wies auf Jan, seinen Vater, mit anklagenden Gesten, die den Armen zum bösen Mann machten, der ein unschuldiges Kind in die Polnische Post geschleppt hatte, um es auf polnisch unmenschliche Weise als Kugelfang zu benutzen.
Oskar versprach sich einiges für seine heile und seine zerstörte Trommel von diesem Judasschauspiel und sollte recht behalten: die Heimwehrleute traten Jan ins Kreuz, stießen ihn mit den Gewehrkolben, ließen mir jedoch beide Trommeln, und einer, ein schon älterer Heimwehrmann mit grämlichen Familienvatersorgenfalten neben Nase und Mund, tätschelte meine Wangen, während mich ein anderer, weißblonder Kerl mit immer lachenden, deshalb geschlitzten und nie sichtbaren Augen auf den Arm nahm, was Oskar peinlich berührte.
Heute, da ich mich zeitweilig dieser unwürdigen Haltung schäme, sage ich immer wieder: der Jan hat das nicht gemerkt, der war noch bei den Karten, der blieb auch späterhin bei den Karten, den konnte nichts mehr, selbst der lustigste wie teuflischste Einfall der Heimwehrleute von den Skatkarten weglocken. Während sich Jan schon im ewigen Reich der Kartenhäuser befand und glücklich solch ein dem Glück gläubiges Haus bewohnte, standen wir, die Heimwehrleute und ich — denn Oskar zählte sich zu den Heimwehrleuten — zwischen Ziegelmauern, auf gefliesten Korridorfußböden, unter Decken mit Stuckgesimsen, die mit Wänden und Zwischenwänden derart ineinander verkrampft waren, daß man das Schlimmste für jenen Tag befürchten mußte, da all die Klebearbeit, die wir Architektur nennen, diesen oder jenen Umständen gehorchend, den Zusammenhalt aufgeben wird.
Natürlich kann mich diese verspätete Einsicht nicht entschuldigen, zumal mir — der ich beim Anblick von Baugerüsten immer an Abbrucharbeiten denken muß — der Glaube an Kartenhäuser als einzig menschenwürdige Behausung nicht fremd war. Dazu gesellt sich der familiäre Belastungspunkt. War ich doch an jenem Nachmittag fest davon überzeugt, in Jan Bronski nicht nur einen Onkel, sondern auch einen richtigen, nicht nur mutmaßlichen Vater zu haben. Ein Vorsprung also, der ihn von Matzerath für alle Zeiten unterscheidet: denn Matzerath ist entweder mein Vater oder gar nichts gewesen.
Am ersten September neununddreißig — und ich setze voraus, daß auch Sie während jenes unglückseligen Nachmittages in jenem glückseligen, mit Karten spielenden Jan Bronski meinen Vater erkannten — an jenem Tage datierte sich meine zweite große Schuld.
Ich kann es mir nie, selbst bei wehleidigster Stimmung nicht verschweigen: meine Trommel, nein, ich selbst, der Trommler Oskar, brachte zuerst meine arme Mama, dann den Jan Bronski, meinen Onkel und Vater ins Grab.
Doch wie jedermann halte ich mir an Tagen, da mich ein unhöfliches und durch nichts aus dem Zimmer zu weisendes Schuldgefühl in die Kissen meines Anstaltbettes drückt, meine Unwissenheit zugute, die damals in Mode kam und noch heute manchem als flottes Hütchen zu Gesicht steht.
Oskar, den schlauen Unwissenden, brachte man, ein unschuldiges Opfer polnischer Barbarei, mit Fieber und entzündeten Nerven in die Städtischen Krankenanstalten. Matzerath wurde benachrichtigt.
Er hatte meinen Verlust noch am Vorabend angezeigt, obgleich immer noch nicht feststand, daß ich
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