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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Gegenbahn im Auge bewahrend, wurde Oskar vom Schugger Leo von der Asphaltstraße durch lockeren Sand geführt, der schon den Sand der Stranddünen ahnen ließ. Ein quadratisches Viereck bildend schloß eine Mauer den Friedhof ein. Ein Pförtchen nach Süden hin, mit viel verschnörkeltem Rost, nur andeutungsweise verschlossen, erlaubte uns den Eintritt. Leo ließ mir leider keine Zeit, die verrutschten, zum Sturz geneigten oder schon auf der Nase liegenden Grabsteine, die zumeist aus hinten und an den Seiten grobbossiertem, vorne geschliffenem, schwarzschwedischem Granit oder Diabas geschlagen waren, genauer zu betrachten.
    Fünf oder sechs verarmte, auf Umwegen gewachsene Strandkiefern ersetzten den Baumschmuck des Friedhofes. Mama hatte zu Lebzeiten von der Straßenbahn aus diesem verfallenen Plätzchen vor allen anderen stillen Orten den Vorzug gegeben. Nun lag sie auf Brenntau. Der Boden war fettiger dort; es wuchsen Ulmen und Ahorn.
    Durch ein offenes, gitterloses Pförtchen in der nördlichen Mauer führte mich Leo vom Friedhof, bevor ich zwischen dem stimmungsvollen Verfall Fuß fassen konnte. Gleich hinter der Mauer standen wir auf planem Sandboden. Ginster, Kiefern, Hagebuttensträucher schwammen gegen die Küste hin überdeutlich in einer dampfenden Brühe. Gegen den Friedhof blickend, fiel mir sofort auf, daß ein Stück der Nordmauer frisch gekalkt war.
    Leo tat geschäftig vor der neu wirkenden, wie sein knittriges Hemd schmerzlich grellen Wand.
    Angestrengt große Schritte machte er, schien die Schritte zu zählen, zählte laut und, wie Oskar heute noch glaubt, auf lateinisch. Auch sang er den Text, wie er es auf dem Priesterseminar gelernt haben mochte. Etwa zehn Meter von der Mauer entfernt markierte Leo einen Punkt, legte auch kurz vor dem getünchten und, wie ich mir denken konnte, geflickten Putz ein Stück Holz hin, tat das alles mit der linken Hand, denn rechts hielt er die Patronenhülse, und endlich, nach längstem Suchen und Messen, placierte er dicht bei dem entfernten Stück Holz jenes hohle, vorne etwas verengte Metall, welches einen Bleikern so lange beherbergt hatte, bis jemand mit gekrümmtem Zeigefinger, den Druckpunkt gesucht, ohne durchzureißen, dem Blei die Wohnung gekündigt und den todbringenden Umzug befohlen hatte.
    Wir standen und standen. Schugger Leo ließ seinen Seiber fließen und Fäden ziehen. Er verschränkte die Handschuhe ineinander, gab anfangs noch etwas gesungenes Latein von sich, schwieg dann, da niemand da war, der sich der Responsorien mächtig erweisen konnte. Auch drehte sich Leo, äugte ärgerlich ungeduldig über die Mauer zur Brösener Landstraße, warf immer dann den Kopf in jene Richtung, wenn die zumeist leeren Straßenbahnen an der Weiche hielten, klingelnd einander auswichen und voneinander Abstand nahmen. Wahrscheinlich erwartete Leo Leidtragende. Aber weder zu Fuß noch mit der Bahn kam jemand, dem er mit seinem Handschuh Beileid reichen konnte.
    Einmal brummten über uns zur Landung ansetzende Flugzeuge. Wir blickten nicht auf, erlitten den Motorenlärm und wollten uns nicht überzeugen lassen, daß da mit blinkenden Lichtern an den Flügelspitzen drei Maschinen vom Typ Ju 52 zur Landung ansetzten.
    Kurze Zeit nachdem uns die Motoren verlassen hatten — die Stille war ähnlich peinigend, wie die Mauer uns gegenüber weiß war — zog Schugger Leo, in sein Hemd greifend, etwas hervor, stand gleich darauf neben mir, riß sein Krähengewand von Oskars Schultern, sprang in Richtung Ginster, Hagebutten, Strandkiefern, gegen die Küste davon und ließ im Davonspringen mit deutlich abgesetzter Geste, die auf einen Finder baute, etwas fallen.
    Erst als Leo endgültig verschwunden war — er geisterte im Vorfeld herum, bis ihn milchige, am Boden klebende Nebelschwaden verschluckten — erst als ich mich ganz allein mit dem Regen fand, griff ich mir das im Sand steckende Stückchen Karton: es war die Skatkarte Pique Sieben.
    Wenige Tage nach dem Treffen auf dem Sasper Friedhof traf Oskar seine Großmutter Anna Koljaiczek auf dem Langfuhrer Wochenmarkt. Nachdem es bei Bissau keine Zoll-und Landesgrenze mehr gab, konnte sie wieder ihre Eier, Butter, auch Grünkohl und Winteräpfel auf den Markt bringen.
    Die Leute kauften gerne und viel, denn die Bewirtschaftung der Lebensmittel stand kurz bevor und förderte das Anlegen von Vorräten. Im gleichen Moment, da Oskar seine Großmutter hinter ihrer Ware hocken sah, spürte er die Skatkarte auf bloßer Haut unter

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