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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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genoß den Durchblick zwischen Elle und Speiche, ließ an ihrer Wirbelsäule Abzählspiele auf und ab klettern, griff hinein durch beide Hüftbeinlöcher und amüsierte mich über den Schwertfortsatz.
    Aller Kurzweil zum Trotz, die ich mir als Tod mit der Seesanduhr angedeihen ließ, bewegte sich Maria. Sie griff blind, sich nur auf die Finger verlassend, in die Strandtasche und suchte etwas, während ich den restlichen Sand mit den letzten Kirschkernen der schon halb versandeten Trommel zukommen ließ. Da Maria das, was sie suchte, wahrscheinlich ihre Mundharmonika, nicht fand, stülpte sie die Tasche um: gleich darauf lag auf dem Badelaken keine Mundharmonika, aber ein Tütchen Waldmeisterbrausepulver.
    Maria tat überrascht. Vielleicht war sie auch überrascht. Ich war wirklich überrascht und sagte mir immer wieder, sag es noch heute: Wie ist das Tütchen Brausepulver, dieses billige Zeug, das sich nur die Kinder der Arbeitslosen und Stauer kauften, weil die kein Geld für ordentliche Limonade hatten, wie ist dieser Ladenhüter in unsere Strandtasche gekommen?
    Während Oskar noch überlegte, bekam Maria Durst. Auch ich mußte mir gegen meinen Willen, meine Überlegungen unterbrechend, aufdringlichen Durst eingestehen. Wir hatten keinen Becher, auch mußte man bis zum Trinkwasser wenigstens fünfunddreißig Schritte machen, wenn Maria ging; an die fünfzig, wenn ich mich auf den Weg machte. Zwischen niveaölglänzenden, auf dem Rücken oder auf dem Bauch liegenden Fleischbergen hieß es den heißesten Sand erleiden, wenn man vorhatte, beim Bademeister einen Becher zu leihen und den Leitungshahn neben der Bademeisterkajüte aufzudrehen.
    Wir scheuten beide den Weg und ließen das Tütchen auf dem Badelaken liegen. Schließlich nahm ich es, bevor Maria es nehmen wollte. Doch Oskar legte es wieder aufs Laken, damit Maria zugreifen konnte. Maria griff nicht. So griff ich und gab es Maria. Maria gab es Oskar zurück. Ich dankte und schenkte es ihr. Sie aber wollte von Oskar keine Geschenke annehmen. Ich mußte es wieder aufs Laken legen. Dort lag es längere Zeit, ohne sich zu rühren.
    Oskar stellt fest, daß Maria es war, die das Tütchen nach beklemmender Pause an sich nahm. Doch nicht genug: sie riß einen Streifen Papier genau dort ab, wo unter gepunkteter Linie stand: Hier reißen!
    Dann hielt sie mir das geöffnete Tütchen hin. Dieses Mal lehnte Oskar dankend ab. Es gelang Maria, beleidigt zu sein. Sie legte mit aller Entschlossenheit das offene Tütchen aufs Laken. Was blieb mir übrig, als nun meinerseits, bevor etwa Seesand ins Tütchen finden konnte, zuzugreifen und Maria das Tütchen anzubieten. Oskar stellt fest, daß Maria es war, die einen Finger in der Tütenöffnung verschwinden ließ, die den Finger wieder hervorlockte, ihn senkrecht und zur Ansicht hielt: es zeigte sich auf der Fingerkuppe etwas Weißbläuliches, das Brausepulver. Sie bot mir den Finger an.
    Natürlich nahm ich ihn. Obgleich es mir in die Nase stieg, gelang es meinem Gesicht, Wohlgeschmack widerzuspiegeln. Es war Maria, die eine hohle Hand machte. Und Oskar konnte nicht umhin, ihr etwas Brausepulver in die rosa Schüssel zu streuen. Sie wußte nicht, was sie mit dem Häufchen anfangen sollte. Der Hügel in ihrem Handteller war ihr zu neu und zu erstaunlich. Da beugte ich mich vor, nahm all meinen Speichel zusammen, ließ ihn dem Brausepulver zukommen, tat das noch einmal und lehnte mich erst zurück, als ich keinen Speichel mehr hatte.
    In Marias Hand begann es zu zischen und zu schäumen. Da brach der Waldmeister wie ein Vulkan aus. Da kochte, ich weiß nicht, wessen Volkes grünliche Wut. Da spielte sich etwas ab, was Maria noch nicht gesehen und wohl noch nie gefühlt hatte, denn ihre Hand zuckte, zitterte, wollte wegfliegen, weil Waldmeister sie biß, weil Waldmeister durch ihre Haut fand, weil Waldmeister sie aufregte, ihr ein Gefühl gab, ein Gefühl, ein Gefühl...
    So sehr das Grün sich auch vermehrte, Maria wurde rot, führte die Hand zum Mund, leckte die Innenfläche mit langer Zunge ab, tat das mehrmals und so verzweifelt, daß Oskar schon glauben wollte, die Zunge tilge nicht jenes sie so aufregende Waldmeistergefühl, sondern steigere es bis zu jenem Punkt, womöglich noch über jenen Punkt hinaus, der normalerweise allen Gefühlen gesetzt ist.
    Dann ließ das Gefühl nach. Maria kicherte, blickte sich um, ob auch keine Zeugen des Waldmeisters vorhanden wären, und ließ sich, da sie rings die in Badeanzügen atmenden

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