Die Blechtrommel
das erlaubte — und führte uns durch den Strandkiefernwald zur Badeanstalt. Trotz meiner fast sechzehn Jahre — der Bademeister hatte keinen Blick dafür — durfte ich in die Damenabteilung.
Wasser: achtzehn; Luft: sechsundzwanzig; Wind: Ost — weiterhin heiter, stand an der schwarzen Tafel neben dem Anschlag der Lebensrettungsgesellschaft, die Vorschläge für Wiederbelebungsversuche neben linkischen, altmodischen Zeichnungen ausbreitete. Es hatten die Ertrunkenen alle gestreifte Badeanzüge an, die Retter trugen Schnurrbärte, Strohhüte schwammen auf tückisch gefährlichem Wasser.
Das barfüßige Bademädchen ging voran. Wie eine Büßerin trug sie den Strick um den Leib, und an dem Strick hing ein mächtiger Schlüssel, der alle Zellen aufschloß. Laufstege. Das Geländer an den Stegen. Ein dürrer Kokosläufer an allen Zellen vorbei. Wir bekamen Zelle 53. Das Holz der Zelle warm, trocken, von einer natürlich weißbläulichen Farbe, die ich blind nennen möchte. Ein Spiegel neben dem Zellenfenster, der sich selbst nicht mehr ernst nahm.
Zuerst mußte Oskar sich ausziehen. Ich tat das mit dem Gesicht zur Wand und ließ mir nur widerwillig dabei helfen. Dann drehte mich Maria mit ihrem praktisch handfesten Griff, hielt mir den neuen Badeanzug hin und zwängte mich, ohne Rücksicht zu nehmen, in die enganliegende Wolle. Kaum hatte sie mir die Träger geknöpft, hob sie mich auf die Holzbank vor der Rückwand der Zelle, drückte mir Trommel und Stöcke auf die Schenkel und begann sich mit raschen, kräftigen Bewegungen zu entkleiden.
Zuerst trommelte ich ein bißchen, zählte auch die Astlöcher in den Fußbodenbrettern. Dann ließ ich das Zählen und das Trommeln. Unbegreiflich blieb mir, warum Maria mit komisch geschürzten Lippen geradeaus vor sich hin pfiff, während sie aus den Schuhen stieg, zwei Töne hoch, tief pfiff, die Söckchen abstreifte, wie ein Bierkutscher pfiff, den geblümten Stoff von sich nahm, pfeifend den Unterrock über das Kleid hängte, den Büstenhalter von sich abfallen ließ und immer noch, ohne eine Melodie zu finden, angestrengt pfiff, als sie die Schlüpfer, die eigentlich Turnhosen waren, bis zu den Knien herunterzog, auf die Füße rutschen ließ, ausstieg aus den gerollten Hosenbeinen und mit linkem Fuß den Stoff in die Ecke wischte.Maria erschreckte Oskar mit ihrem behaarten Dreieck. Zwar wußte er von seiner armen Mama her, daß Frauen unten nicht kahl sind, aber Maria war ihm in jenem Sinne nicht Frau, in dem sich seine Mama einem Matzerath oder Jan Bronski gegenüber als Frau bewiesen hatte.
Und nun erkannte ich sie sofort. Wut, Scham, Empörung, Enttäuschung und eine halb komisch, halb schmerzhaft beginnende Versteifung meines Gießkännchens unter dem Badeanzug ließen mich Trommel und beide Trommelstöcke um des einen, mir neu gewachsenen Stockes willen vergessen.
Oskar sprang auf, warf sich Maria zu. Die fing ihn auf mit ihren Haaren. Er ließ sich das Gesicht zuwachsen. Zwischen die Lippen wuchs es ihm. Maria lachte und wollte ihn wegziehen. Ich aber zog immer mehr von ihr in mich hinein, kam dem Vanillegeruch auf die Spur. Maria lachte immer noch.
Sie ließ mich sogar bei ihrer Vanille, das schien ihr Spaß zu machen, denn das Lachen gab sie nicht auf. Erst als mir die Beine wegrutschten und ihr mein Wegrutschen Schmerzen bereitete — denn die Haare ließ ich nicht los oder die ließen mich nicht — erst als mir die Vanille Tränen in die Augen preßte, als ich schon Pfifferlinge oder sonst was Strenges, nur keine Vanille mehr schmeckte, als dieser Erdgeruch, den Maria hinter der Vanille verbarg, mir den modernden Jan Bronski auf die Stirn nagelte und mich für alle Zeiten mit dem Geschmack der Vergänglichkeit verseuchte, da ließ ich los.
Oskar glitt auf die blindfarbenen Bretter der Badezelle und weinte immer noch, als ihn Maria, die schon wieder lachte, hob, auf den Arm nahm, streichelte und gegen jene Holzkirschenkette drückte, die sie als einziges Kleidungsstück anbehalten hatte.
Kopfschüttelnd sammelte sie ihre Haare von meinen Lippen und verwunderte sich: »Du best mir so ain Schlingelchen! Jehst da ran und waißt nich, was is, und nachher weinste.«
BRAUSEPULVER
Ist Ihnen das ein Begriff? Früher war es zu jeder Jahreszeit in flachen Tüten erhältlich. Meine Mama verkaufte in unserem Laden ein zum Erbrechen grünes Tütchen Waldmeisterbrausepulver. Ein Tütchen, dem nicht ganz reife Orangen die Farbe geliehen hatten, nannte sich:
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