Die Blechtrommel
ständig vermehrender, müdemachender Vanillegeruch den Film vor dem Schlaf flimmern, dann reißen ließ, fand Oskar zu ähnlich ruhigem Atem, wie ihn Maria schon lange übte.
Eine gleich züchtige Vorstellung mädchenhaften Zubettgehens gab mir Maria drei Tage später. Im Nachthemd kam sie, pfiff beim Zöpfeaufmachen, pfiff noch beim Kämmen, legte den Kamm weg, pfiff nicht mehr, schaffte Ordnung auf der Kommode, warf dem Foto die Kußhand zu, machte den übertriebenen Sprung, federte, griff das Oberbett und erblickte — ich betrachtete ihren Rücken — sie sah ein Tütchen — ich bewunderte ihr langes Schönhaar — sie entdeckte auf dem Oberbett etwas Grünes — ich schloß die Augen und wollte warten, bis sie sich an den Anblick des Brausepulvertütchens gewöhnt hatte — da schrien die Sprungfedern unter einer sich zurückwerfenden Maria, da knipste es, und als ich des Knipsens wegen die Augen öffnete, konnte Oskar sich bestätigen, was er wußte: Maria hatte das Licht ausgeknipst, atmete unordentlich im Dunkeln, hatte sich an den Anblick des Brausepulvertütchens nicht gewöhnen können; doch blieb es fraglich, ob die von ihr befohlene Dunkelheit die Existenz des Brausepulvers nicht übersteigerte, Waldmeister zur Blüte brachte und der Nacht Bläschen treibendes Natron verordnete.
Fast möchte ich glauben, die Dunkelheit war auf Oskars Seite. Denn schon nach wenigen Minuten — wenn man in einem stockdunklen Zimmer von Minuten sprechen kann — nahm ich Bewegungen am Kopfende des Bettes wahr; Maria angelte nach der Schnur, die Schnur biß an und gleich darauf bewunderte ich abermals langfallendes Schönhaar auf Marias sitzendem Nachthemd. Wie gleichmäßig und gelb die Glühbirne hinter dem gefalteten Bezug des Lampenschirmes das Schlafzimmer ausleuchtete. Prall aufgeschlagen und unberührt häufte sich immer noch das Oberbett am Fußende.
Das Tütchen auf dem Berg hatte sich in der Dunkelheit nicht zu bewegen gewagt. Marias Großmutternachthemd raschelte, ein Ärmel des Hemdes mit dazugehörender Patschhand hob sich, und Oskar sammelte Speichel in seiner Mundhöhle.
Wir beide haben während der folgenden Wochen über ein Dutzend Tütchen Brausepulver zumeist mit Waldmeistergeschmack, schließlich, als der Waldmeister ausging, mit Zitronen-und Himbeergeschmack auf immer dieselbe Art entleert, mit meinem Speichel zum Aufbrausen gebracht und ein Gefühl gefördert, das Maria immer mehr zu schätzen wußte. Ich bekam einige Übung im Speichelansammeln, benutzte Tricks, die mir das Wasser schnell und reichlich im Munde zusammenlaufen ließen, und war bald imstande, mit dem Inhalt eines Tütchens Brausepulver Maria dreimal kurz nacheinander das begehrte Gefühl zu bescheren.Maria war mit Oskar zufrieden, drückte ihn manchmal an sich, küßte ihn nach dem Brausepulvergenuß sogar zwei-oder dreimal irgendwohin ins Gesicht und schlief zumeist schnell ein, nachdem Oskar sie im Dunkeln noch kurz kichern gehört hatte.
Mir fiel das Einschlafen immer schwerer. Sechzehn Jahre zählte ich, hatte einen beweglichen Geist und das schlafvertreibende Bedürfnis, meiner Liebe zu Maria andere, ungeahntere Möglichkeiten zu bieten als die, die da im Brausepulver schlummerten, durch meinen Speichel erweckt, immer dasselbe Gefühl bemühten.
Oskars Überlegungen beschränkten sich nicht nur auf die Zeit nach dem Lichtausknipsen. Tagsüber brütete ich hinter der Trommel, blätterte in meinen zerlesenen Rasputinauszügen, erinnerte mich früherer Unterrichtsorgien zwischen dem Gretchen Scheffler und meiner armen Mama, befragte auch Goethe, den ich gleich Rasputin in den Auszügen der Wahlverwandtschaften besaß, nahm also des Gesundbeters Triebhaftigkeit, glättete jene mit dem alle Welt einbeziehenden Naturgefühl des Dichterfürsten, gab Maria bald das Aussehen der Zarin, auch die Züge der Großfürstin Anastasia, wählte Damen aus Rasputins adlig-exzentrischem Gefolge, um Maria alsbald, vom allzu Brünstigen abgestoßen, in der himmlischen Durchsichtigkeit einer Ottilie oder hinter der zuchtvoll gemeisterten Leidenschaft Charlottens zu erblicken. Sich selbst sah Oskar abwechselnd als Rasputin persönlich, dann als seinen Mörder, sehr oft als Hauptmann, seltener als Charlottens wankelmütigen Gatten und einmal — ich muß es gestehen — als einen in Goethes bekannter Gestalt über der schlafenden Maria schwebenden Genius.
Merkwürdigerweise erwartete ich von der Literatur mehr Anregungen als vom nackten,
Weitere Kostenlose Bücher