Die Blechtrommel
wollte sich nicht setzen, tänzelte vielmehr vor dem Spiegel, und wir lächelten uns beide etwa ein Viertelstündchen verständnisvoll an, ohne Stalin zu meinen.
Ich weiß nicht, wollte ich ihn zu meinem Vertrauten machen oder lag es in meiner Absicht, Vittlar zu vertreiben. Ans Bett winkte ich ihn, winkte sein Ohr heran und flüsterte in seinen großlappigen Löffel:
»Brausepulver? Ist dir das ein Begriff, Gottfried?« Ein entsetzter Sprung trug Vittlar von meinem Gitterbett fort; zu Pathos und ihm geläufiger Theatralik griff er, ließ mir einen Zeigerfinger entgegenwachsen und zischte: »Warum willst du Satan mich mit Brausepulver verführen? Weißt du noch immer nicht, daß ich ein Engel bin?«
Und gleich einem Engel flügelte Vittlar, nicht ohne zuvor noch einmal den Spiegel über dem Waschbecken zu befragen, davon. Die jungen Leute außerhalb der Heil-und Pflegeanstalt sind wirklich merkwürdig und neigen zur Manieriertheit.
Und dann kam Maria. Sie hat sich ein neues Frühjahrskostüm schneidern lassen, trägt dazu einen eleganten mausgrauen Hut mit raffiniert sparsam strohgelber Dekoration und nimmt dieses Gebilde selbst in meinem Zimmer nicht ab. Flüchtig begrüßte sie mich, hielt mir die Wange hin, stellte sogleich jenes Kofferradio an, das sie zwar mir schenkte, dennoch für den eigenen Gebrauch bestimmt zu haben scheint; denn der scheußliche Kunststoffkasten muß einen Teil unserer Gespräche während der Besuchstage ersetzen. »Haste die Meldung heute früh mitbekommen? Is doch doll. Oder nich?«
»Ja, Maria«, gab ich geduldig zurück. »Auch mir hat man Stalins Tod nicht verheimlichen wollen, doch bitte, stell nun das Radio ab.«
Maria gehorchte wortlos, setzte sich, immer noch mit Hut, und wir sprachen wie gewöhnlich über Kurtchen.
»Stell dir vor Oskar, da Bengel will kaine langen Strümpfe mehr tragen, dabai is März, und es soll noch kälter werden, harn se im Radio jewußt.« Ich überhörte die Radiomeldung, ergriff aber Kurtchens Partei in Sachen lange Strümpfe. »Der Junge ist jetzt zwölf, Maria, er schämt sich der wollenen Strümpfe wegen vor seinen Schulkameraden.«
»Na mir is saine Jesundhait lieber, und die Strümpfe trächter bis Ostern.«
Dieser Termin wurde so bestimmt geäußert, daß ich behutsam einzulenken versuchte: »Dann solltest du ihm Skihosen kaufen, denn die langen Wollstrümpfe sind wirklich häßlich. Denk mal zurück, als du so alt warst. Auf unserem Hof im Labesweg? Was haben sie mit Klein-Käschen gemacht, der auch immer lange Strümpfe bis Ostern tragen mußte? Nuchy Eyke, der auf Kreta blieb, Axel Mischke, der noch kurz vor Schluß in Holland hopsging, und Harry Schlager, was haben die gemacht mit KleinKäschen? Die langen Wollstrümpfe haben sie ihm mit Teer beschmiert, daß die kleben blieben, und Klein-Käschen mußte in die Krankenanstalten eingeliefert werden.«
»Das war vor allem Susi Kater, die hat Schuld jehabt und nich de Strümpfe!« Maria stieß das wütend hervor. Obgleich Susi Kater schon zu Anfang des Krieges zu den Blitzmädchen ging und später nach Bayern geheiratet haben soll, trug Maria der einige Jahre älteren Susi so ausdauernd einen Groll nach, wie eben nur Frauen ihre Antipathien aus der Jugendzeit bis in die Großmutterzeit zu bewahren wissen. Dennoch zeigte der Hinweis auf Klein-Käschens teerbeschmierte Wollstrümpfe einige Wirkungen. Maria versprach, Kurtchen Skihosen zu kaufen. Wir konnten dem Gespräch eine andere Wendung geben. Es gab Lobenswertes über unser Kurtchen zu berichten. Studienrat Könnemann hatte sich bei der letzten Elternversammlung anerkennend geäußert. »Nu stell dir vor. Da Zweitbeste isser in seine Klasse. Und im Jesschäft hilft er mir, ich kann dir nich sagen, wie.«
So nickte ich anerkennend, ließ mir noch die neuesten Anschaffungen fürs Feinkostgeschäft beschreiben. Ermutigte Maria, eine Filiale in Oberkassel zu begründen. Die Zeit sei günstig, sagte ich, die Konjunktur halte an — das hatte ich übrigens aus dem Radio aufgeschnappt — und dann fand ich es an der Zeit, Bruno zu klingeln. Der kam und reichte mir das weiße Tütchen mit dem Brausepulver.
Oskars Plan war durchdacht. Ohne jede Erklärung erbat ich mir Marias linke Hand. Zuerst wollte sie mir die Rechte geben, verbesserte sich dann, bot mir den linken Handrücken kopfschüttelnd und lachend, erwartete womöglich einen Handkuß. Erstaunt zeigte sie sich erst, als ich mir den Handteller zudrehte und zwischen Mondberg und
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