Die Blechtrommel
könnte mir einen Zirkel kaufen und einen Kreis um uns schlagen, könnt' mit demselben Zirkel die Neigungswinkel deines Halses messen, während du liest, nähst oder wie jetzt, an meinem Kofferradio drehst. Laß doch das Radio, zärtliche Vorschläge: Ich könnt' mir die Augen impfen lassen und wieder zu Tränen kommen. Beim nächsten Metzger ließe Oskar sein Herz durch den Wolf drehen, wenn du deine Seele gleichfalls. Wir könnten uns auch ein Stofftier kaufen, damit es still bleibt zwischen uns beiden. Wenn ich mich zu Würmern entschlösse und du zur Geduld: wir könnten angeln gehen und glücklicher werden. Oder das Brausepulver von damals, erinnerst du dich?
Du nennst mich Waldmeister, ich brause auf, du willst noch mehr, ich geb' dir den Rest - Maria, Brausepulver, zärtliche Vorschläge!
Warum drehst du am Radio, hörst nur noch aufs Radio, als besäße dich ein wildes Verlangen nach Sondermeldungen.«
SONDERMELDUNGEN
Auf dem weißen Rund meiner Trommel läßt sich schlecht experimentieren. Das hätte ich wissen müssen. Mein Blech verlangt immer dasselbe Holz. Es will schlagend befragt werden, schlagende Antworten geben oder unterm Wirbel zwanglos plaudernd Frage und Antwort offenlassen. Meine Trommel ist also weder eine Bratpfanne, die künstlich erhitzt rohes Fleisch erschrecken läßt, noch eine Tanzfläche für Paare, die nicht wissen, ob sie zusammengehören. Deshalb hat Oskar auch nie, selbst während einsamster Stunden nicht, Brausepulver auf seine Trommel gestreut, seinen Speichel dazugemengt und ein Schauspiel veranstaltet, das er seit Jahren nicht mehr gesehen hat, das ich sehr vermisse. Zwar konnte sich Oskar einen Versuch mit besagtem Pulver nicht ganz verkneifen, doch ging er direkter vor, ließ die Trommel aus dem Spiel; ich stellte mich also bloß, denn ohne meine Trommel bin ich immer der Bloßgestellte.
Zunächst war es schwierig, Brausepulver zu bekommen. Ich schickte Bruno in alle Kolonialwarengeschäfte Grafenbergs, ließ ihn mit der Straßenbahn nach Gerresheim fahren. Auch bat ich ihn, es in der Stadt zu versuchen, doch selbst in Erfrischungsbuden jener Art, wie man sie an den Endstationen der Straßenbahnlinien findet, konnte Bruno kein Brausepulver bekommen. Jüngere Verkäuferinnen kannten es überhaupt nicht, ältere Budenbesitzer erinnerten sich wortreich, rieben — wie Bruno berichtete — versonnen ihre Stirnen, sagten: »Mann, was woll'n Se? Brausepulver? Das is aber schon lange her, dass es das gab. Unter Wilhelm und ganz zu Anfang noch, unter Adolf, da war das im Handel.
Das war'n noch Zeiten! Doch wenn Se ne Limonade haben wollen oder ne Coca?«
Mein Pfleger trank also auf meine Kosten mehrere Flaschen Limonade und Coca-Cola, verschaffte mir jedoch nicht, wonach ich verlangte, und dennoch konnte Oskar geholfen werden. Bruno zeigte sich unermüdlich: gestern brachte er mir ein weißes, unbeschriftetes Tütchen; die Laborantin der Heil-und Pflegeanstalt, ein gewisses Fräulein Klein, hatte sich verständnisvoll bereit erklärt, ihre Dosen, Schubladen und Nachschlagwerke zu öffnen, einige Gramm hiervon, wenige Gramm davon zu nehmen und schließlich nach mehreren Versuchen ein Brausepulver zu mixen, von dem Bruno zu berichten wußte: es könne brausen, prickeln, grün werden und ganz behutsam nach Waldmeister schmecken.
Und heute war Besuchstag. Es kam Maria. Doch zuerst kam Klepp. Wir lachten zusammen etwa eine Dreiviertelstunde lang über etwas Vergessenswertes. Ich schonte Klepp und Klepps leninistische Gefühle, brachte das Gespräch nicht auf Aktuelles, erwähnte also nichts von jener Sondermeldung, die mir aus meinem kleinen Kofferradio — Maria schenkte es mir vor Wochen — von Stalins Tod berichtete. Klepp schien dennoch Bescheid zu wissen, denn an seinem braun-karierten Mantelärmel spannte sich, unsachgemäß angenäht, ein Trauerflor. Dann stand Klepp auf, und Vittlar trat ein. Die beiden Freunde scheinen wieder einmal Streit zu haben, denn Vittlar begrüßte Klepp lachend und mit den Fingern Teufelshörner machend: »Stalins Tod überraschte mich heute früh beim Rasieren!« höhnte er und half Klepp in den Mantel. Mit speckglänzender Pietät im breiten Gesicht lüftete Klepp den schwarzen Stoff an seinem Mantelärmel. »Deswegen trage ich Trauer«, seufzte er und intonierte, Armstrongs Trompete imitierend, die ersten Begräbnistakte aus New Orleans Function: trrrah trahdada traah dada dadada — dann schob er sich durch die Tür.
Vittlar jedoch blieb,
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