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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Venusberg das Pulver aus dem Tütchen häufte. Sie erlaubte das aber und erschrak erst, als Oskar sich über ihre Hand beugte und seinen Speichel reichlich über dem Brausepulverberg ausschied.
    »Nu laß doch den Unsinn, Oskar!« entrüstete sie sich, sprang auf, nahm Abstand und starrte entsetzt auf das brausende, grün schäumende Pulver. Von der Stirn abwärts errötete Maria. Schon wollte ich hoffen, da war sie mit drei Schritten beim Waschbecken, ließ Wasser, ekelhaftes Wasser, erst kaltes, dann warmes Wasser über unser Brausepulver fließen und wusch sich danach die Hände mit meiner Seife.
    »Du bist manchmal wirklich unausstehlich, Oskar. Was soll bloß der Heir Münsterberg von uns denken?« Um Nachsicht für mich bittend, blickte sie Bruno an, der während meines Versuches am Fußende des Bettes Aufstellung genommen hatte. Damit sich Maria nicht weiterhin genieren mußte, schickte ich den Pfleger aus dem Zimmer und bat mir, sobald der die Tür ins Schloß gedrückt hatte, Maria abermals ans Bett: »Erinnerst du dich nicht? Bitte, erinnere dich doch. Brausepulver! Drei Pfennige kostete das Tütchen! Denk mal zurück: Waldmeister, Himbeeren, wie schön das schäumte, aufbrauste und das Gefühl, Maria, das Gefühl!«
    Maria erinnerte sich nicht. Törichte Angst hatte sie vor mir, zitterte ein wenig, verbarg ihre linke Hand, versuchte krampfhaft, ein anderes Gesprächsthema zu finden, erzählte mir abermals von Kurtchens Schulerfolgen, von Stalins Tod, von dem neuen Eisschrank im Feinkostgeschäft Matzerath, von der geplanten Filialengründung in Oberkassel. Ich jedoch hielt dem Brausepulver die Treue, sagte Brausepulver, sie stand auf, Brausepulver, bettelte ich, sie verabschiedete sich hastig, zupfte an ihrem Hut, wußte nicht, ob sie gehen sollte, drehte am Radioapparat, der knarrte, ich überschrie ihn:
    »Brausepulver, Maria, erinnere dich!«
    Da stand sie in der Tür, weinte, schüttelte den Kopf, ließ mich mit dem knarrenden, pfeifenden Kofferradio alleine, indem sie die Tür so vorsichtig schloß, als verließe sie einen Sterbenden.
    Maria kann sich also nicht mehr an das Brausepulver erinnern. Mir jedoch wird, solange ich atmen und trommeln mag, das Brausepulver nicht aufhören zu schäumen; denn mein Speichel war es, der im Spätsommer des Jahres vierzig Waldmeister und Himbeeren belebte, der Gefühle weckte, der mein Fleisch auf die Suche schickte, der mich zum Sammler von Pfifferlingen, Morcheln und anderen, mir unbekannten, doch gleichwohl genießbaren Pilzen ausbildete, der mich zum Vater machte, jawohl, Vater, blutjungen Vater, vom Speichel zum Vater, Gefühl weckend, Vater, sammelnd und zeugend; denn Anfang November bestand kein Zweifel mehr, Maria war schwanger, Maria war im zweiten Monat und ich, Oskar, war der Vater.
    Das glaub ich noch heute, denn die Geschichte mit Matzerath passierte erst viel später, zwei Wochen, nein, zehn Tage nachdem ich die schlafende Maria im Bett ihres narbenreichen Bruders Herbert, angesichts der Feldpostkarten ihres jüngeren Bruders, des Obergefreiten, im dunklen Zimmer dann, zwischen Wänden und Verdunklungspapier geschwängert hatte, fand ich die nicht mehr schlafende, vielmehr betriebsam nach Luft schnappende Maria auf unserer Chaiselongue; unter dem Matzerath lag sie, und Matzerath lag auf ihr drauf.
    Oskar trat, aus dem Hausflur, vom Dachboden kommend, wo er nachgedacht hatte, mit seiner Trommel im Wohnzimmer ein. Die beiden bemerkten mich nicht. Hatten die Köpfe in Richtung Kachelofen. Hatten sich nicht einmal richtig ausgezogen. Dem Matzerath hing die Unterhose in den Kniekehlen. Seine Hose häufte sich auf dem Teppich. Marias Kleid und Unterrock hatten sich über den Büstenhalter bis vor die Achseln gerollt. Die Schlüpfer schlingerten ihr am rechten Fuß, der mit dem Bein, häßlich verdreht, von der Chaiselongue hing. Das linke Bein lag abgeknickt, wie unbeteiligt, auf den Rückpolstern. Zwischen den Beinen Matzerath. Mit der rechten Hand drehte er ihr den Kopf weg, die andere Hand weitete ihre Öffnung und half ihm auf die Spur. Zwischen Matzeraths gespreizten Fingern hindurch stierte Maria seitwärts auf den Teppich, schien dort das Muster bis unter den Tisch zu verfolgen. Er hatte sich in ein Kissen mit Sammetbezug verbissen, ließ von dem Sammet nur ab, wenn sie miteinander sprachen. Denn manchmal sprachen sie, ohne die Arbeit dabei zu unterbrechen. Nur als die Uhr dreiviertel schlug, stockten beide, solange das Läutwerk seine Pflicht tat,

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