Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
tatsächlichen Leben. So konnte mir Jan Bronski, den ich ja oft genug das Fleisch meiner armen Mama hatte bearbeiten sehen, so gut wie nichts beibringen. Obgleich ich wußte, dieses abwechselnd aus Mama und Jan oder Matzerath und Mama bestehende, seufzende, angestrengte, endlich ermattet ächzende, Fäden ziehend auseinanderfallende Knäuel bedeutet Liebe, wollte Oskar dennoch nicht glauben, daß Liebe Liebe war, und suchte aus Liebe andere Liebe und kam doch immer wieder auf die Knäuelliebe und haßte diese Liebe, bevor er sie als Liebe exerzierte und als einzig wahre und mögliche Liebe sich selbst gegenüber verteidigen mußte.
    Maria nahm das Brausepulver liegend zu sich. Da sie, sobald das Pulver aufbrauste, mit den Beinen zu zucken und zu strampeln pflegte, rutschte ihr das Nachthemd oftmals schon nach dem ersten Gefühl bis zu den Schenkeln hoch. Beim zweiten Aufbrausen gelang es dem Hemd zumeist, über den Bauch kletternd sich vor ihren Brüsten zu rollen. Spontan, ohne die Möglichkeit vorher, Goethe oder Rasputin lesend, in Betracht gezogen zu haben, schüttete ich Maria, nachdem ich ihr wochenlang die linke Hand gefüllt hatte, den Rest eines Himbeerbrausepulvertütchens in die Bauchnabelkuhle, ließ meinen Speichel dazufließen, bevor sie protestieren konnte, und als es in dem Krater zu kochen anfing, verlor Maria alle für einen Protest nötigen Argumente: denn der kochend brausende Bauchnabel hatte der hohlen Hand viel voraus. Es war zwar dasselbe Brausepulver, mein Speichel blieb mein Speichel, auch war das Gefühl nicht anders, nur stärker, viel stärker. So übersteigert trat das Gefühl auf, daß Maria es kaum noch aushaken konnte. Sie beugte sich vor, wollte mit der Zunge die brausenden Himbeeren in ihrem Bauchnabeltöpfchen abstellen, wie sie den Waldmeister in der hohlen Hand zu töten pflegte, wenn der seine Schuldigkeit getan hatte, aber ihre Zunge war nicht lang genug; ihr Bauchnabel war ihr entlegener als Afrika oder Feuerland. Mir jedoch lag Marias Bauchnabel nahe, und ich vertiefte meine Zunge in ihm, suchte Himbeeren und fand immer mehr, verlor mich so beim Sammeln, kam in Gegenden, wo kein nach dem Sammelschein fragender Förster sein Revier hatte, fühlte mich jeder einzelnen Himbeere verpflichtet, hatte nur noch Himbeeren im Auge, Sinn, Herzen, Gehör, roch nur noch Himbeeren, war so hinter Himbeeren her, daß Oskar nur nebenbei bemerkte: Maria ist zufrieden mit deinem Sammelfleiß. Deshalb hat sie das Licht ausgeknipst. Deshalb überläßt sie sich vertrauensvoll dem Schlaf und erlaubt dir, weiter zu suchen; denn Maria war reich an Himbeeren.
    Und als ich die nicht mehr fand, da fand ich wie zufällig an anderen Orten Pfifferlinge. Und da die tiefer versteckt unterm Moos wuchsen, versagte meine Zunge, und ich ließ mir einen elften Finger wachsen, da die zehn Finger gleichfalls versagten. Und so kam Oskar zu einem dritten Trommelstock — alt genug war er dafür. Und ich trommelte nicht Blech, sondern Moos. Und ich wußte nicht mehr: bin ich das, der da trommelt? Ist es Maria? Ist das mein Moos oder ihr Moos? Gehören das Moos und der elfte Finger wem anders und die Pfifferlinge nur mir? Hatte der Herr da unten seinen eigenen Kopf, eigenen Willen? Zeugten Oskar, er oder ich?
    Und Maria, die oben schlief und unten dabei war, die harmlos Vanille und unterm Moos strenge Pfifferlinge, die allenfalls Brausepulver, doch den nicht wollte, den ja auch ich nicht wollte, der sich selbständig gemacht hatte, der den eigenen Kopf bewies, der etwas von sich gab, was ich ihm nicht eingegeben, der aufstand, als ich mich legte, der andere Träume hatte als ich, der weder lesen noch schreiben konnte, der dennoch für mich unterschrieb, der heute noch seinen eigenen Weg geht, der sich an jenem Tage schon von mir trennte, da ich ihn erstmals wahrnahm, der mein Feind ist, mit dem ich mich immer wieder verbünden muß, der mich verrät und im Stich läßt, den ich verraten und verkaufen möchte, dessen ich mich schäme, der meiner überdrüssig ist, den ich wasche, der mich beschmutzt, der nichts sieht und alles wittert, der mir so fremd ist, daß ich ihn siezen möchte, der ein ganz anderes Gedächtnis als Oskar hat: denn wenn heute Maria mein Zimmer betritt und Bruno diskret auf den Gang hinaus ausweicht, erkennt er Maria nicht wieder, will nicht, kann nicht, lümmelt sich höchst phlegmatisch, während Oskars Herz erregt meinen Mund stammeln läßt: »Hör' zu, Maria, zärtliche Vorschläge: ich

Weitere Kostenlose Bücher