Die Blechtrommel
Gregor Koljaiczek nicht geholfen werden. Dafür aber half die Existenz des älteren Koljaiczek um so mehr meiner Großmutter Anna. Gregor, der in Stettin, Berlin, zuletzt in Schneidemühl Jahre seines Lebens zugebracht hatte, blieb in Danzig, fand Arbeit auf der Pulvermühle bei »Bastion Kaninchen« und heiratete nach Jahresfrist, nachdem alles Komplizierte, wie die Ehe mit dem falschen Wranka, geklärt und zu den Akten gelegt worden war, meine Großmutter, die nicht von den Koljaiczeks lassen wollte, die den Gregor nie oder nicht so schnell geheiratet hätte, wenn er nicht ein Koljaiczek gewesen wäre.
Die Arbeit auf der Pulvermühle bewahrte Gregor vor dem bunten und bald darauf grauen Rock. Zu dritt wohnten sie in derselben Eineinhalbzimmerwohnung, die dem Brandstifter jahrelang Unterschlupf geboten hatte. Es zeigte sich jedoch, daß ein Koljaiczek nicht wie der nächste Koljaiczek zu sein braucht, denn meine Großmutter sah sich nach einem knappen Jahr Ehe gezwungen, den gerade leerstehenden Kellerladen des Mietshauses imTroyl zu mieten und Krimskrams, von der Stecknadel bis zum Kohlkopf verkaufend, Verdienst zu suchen, weil der Gregor bei der Pulvermühle zwar eine Stange Geld verdiente, dennoch nicht das Nötigste nach Hause brachte, sondern alles vertrank. Während Gregor, wahrscheinlich von meiner Urgroßmutter her, ein Trinker war, war mein Großvater Joseph ein Mann, der ab und zu gerne einen Schnaps trank. Gregor trank nicht, weil er traurig war. Selbst wenn er fröhlich zu sein schien, was selten bei ihm vorkam, weil er der Melancholie anhing, trank er nicht um der Lustigkeit willen. Er trank, weil er allen Dingen auf den Grund ging, so auch dem Alkohol. Niemand hat Gregor Koljaiczek zu Lebzeiten ein halbvolles Gläschen Machandel stehenlassen sehen.
Meine Mama, damals ein rundliches, fünfzehnjähriges Mädchen, machte sich nützlich, half im Geschäft, klebte Lebensmittelmarken, trug am Sonnabend die Ware aus und schrieb ungelenke, doch phantasievolle Mahnbriefe, die die Schulden der Pumpkundschaft eintreiben sollten. Schade, daß ich keinen dieser Briefe besitze. Wie schön wäre es, an dieser Stelle einige halb kindliche, halb mädchenhafte Notschreie aus den Episteln einer Halbwaise zitieren zu können, denn der Gregor Koljaiczek gab keinen vollwertigen Stiefvater ab. Vielmehr hatten meine Großmutter und ihre Tochter Mühe, ihre zumeist mit Kupfer und wenig Silber gefüllte Kasse, die aus zwei übereinandergestülpten Blechtellern bestand, vor dem melancholischen koljaiczekschen Blick des immer durstigen Pulvermüllers zu bewahren. Erst als Gregor Koljaiczek im Jahre siebzehn an der Grippe starb, steigerte sich die Verdienstspanne des Trödelladens etwas, doch nicht viel; denn was konnte man im Jahre siebzehn schon verkaufen?
Die Kammer der Eineinhalbzimmerwohnung, die seit dem Tod des Pulvermüllers leer stand, weil meine Mama, die Hölle fürchtend, dort nicht einziehen wollte, bezog Jan Bronski, der damals etwa zwanzigjährige Cousin meiner Mama, der Bissau und seinen Vater Vinzent verlassen hatte, um mit einem guten Abschlußzeugnis der Mittelschule Karthaus und nach abgeschlossener Lehrzeit auf der Post des Kreisstädtchens, nun auf der Hauptpost Danzig I die mittlere Verwaltungslaufbahn einzuschlagen. Jan brachte außer seinem Koffer auch seine umfangreiche Briefmarkensammlung in die Wohnung seiner Tante. Er sammelte schon seit frühester Jugend, hatte also zur Post nicht nur ein berufliches, sondern auch ein privates, immer behutsames Verhältnis. Der schmächtige, leicht gebückt gehende junge Mann zeigte ein hübsches, ovales, vielleicht etwas zu süßes Gesicht und blaue Augen genug, daß sich meine Mama, die damals siebzehn war, in ihn verlieben konnte. Man hatte den Jan schon dreimal gemustert, ihn aber bei jeder Musterung wegen seines miesen Zustandes zurückgestellt; was in jenen Zeiten, da man alles nur einigermaßen gerade Gewachsene nach Verdun schickte, um es auf Frankreichs Boden in die ewige Waagrechte zu bringen, allerlei über die Konstitution des Jan Bronski besagte.
Die Liebelei hätte eigentlich schon beim gemeinsamen Besehen der Briefmarkenalben, beim Kopf-an-Kopf-Prüfen der Zahnungen besonders wertvoller Exemplare beginnen müssen. Sie begann aber oder kam erst zum Ausbruch, als Jan zu seiner vierten Musterung bestellt wurde. Meine Mama begleitete ihn, da sie ohnehin in die Stadt mußte, vor das Bezirkskommando, wartete dort neben dem vom Landsturm bewachten
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