Die Blechtrommel
Schilderhäuschen und war sich mit Jan darin einig, daß derJan diesmal nach Frankreich müsse, um seinen kümmerlichen Brustkorb in der eisen-und bleihaltigen Luft jenes Landes kurieren zu können. Vielleicht hat meine Mama des Landsturmmannes Knöpfe mehrmals und mit wechselndem Ergebnis abgezählt. Ich könnte mir vorstellen, daß die Knöpfe aller Uniformen so bemessen sind, daß der zuletzt gezählte Knopf immer Verdun, einen der vielen Hartmannsweilerköpfe oder ein Flüßchen meint: Somme oder Marne.
Als sich nach einer knappen Stunde das zum viertenmal gemusterte Kerlchen aus dem Portal des Bezirkskommandos schob, die Treppen hinunterstolperte und der Agnes, meiner Mama, um den Hals fallend, den damals so beliebten Spruch zuflüsterte: »Kein Arsch, kein Gnick, ein Jahr zurück!« da hielt meine Mutter den Jan Bronski zum erstenmal, und ich weiß nicht, ob sie ihn späterhin jemals glücklicher gehalten hat.
Details jener jungen Kriegsliebe sind mir nicht bekannt. Jan verkaufte einen Teil seiner Briefmarkensammlung, um den Ansprüchen meiner Mama, die einen wachen Sinn fürs Schöne, Kleidsame und Teure hatte, nachkommen zu können, und soll zu jener Zeit ein Tagebuch, geführt haben, das später leider verlorenging. Meine Großmutter schien das Bündnis der beiden jungen Leute — man kann annehmen, daß es übers Verwandtschaftliche hinaus ging — geduldet zu haben, denn Jan Bronski wohnte bis kurz nach dem Kriege in der engen Wohnung auf dem Troyl. Er zog erst aus, als sich die Existenz eines Herrn Matzerath nicht mehr leugnen ließ und auch zugegeben wurde. Jenen Herrn muß meine Mama im Sommer achtzehn kennengelernt haben, als sie im Lazarett Silberhammer bei Oliva als Hilfskrankenschwester Dienst tat. Alfred Matzerath, ein gebürtiger Rheinländer, lag dort mit einem glatten Oberschenkeldurchschuß und wurde auf rheinisch fröhliche Art bald der Liebling aller Krankenschwestern — die Schwester Agnes nicht ausgenommen. Halb genesen humpelte er am Arm dieser oder jener Pflegerin auf dem Korridor und half der Schwester Agnes in der Küche, weil ihr das Schwesternhäubchen so gut zum runden Gesicht stand, auch weil er, ein passionierter Koch, Gefühle in Suppen zu wandern verstand.
Als die Verwundung ausgeheilt war, blieb Alfred Matzerath in Danzig und fand dort sofort Arbeit als Vertreter seiner rheinischen Firma, eines größeren Unternehmens der papierverarbeitenden Industrie.
Der Krieg hatte sich verausgabt. Man bastelte, Anlaß zu ferneren Kriegen gebend, Friedensverträge: das Gebiet um die Weichselmündung, etwa von Vogelsang auf der Nehrung, der Nogat entlang bis Pieckel, dort mit der Weichsel abwärts laufend bis Czattkau, links einen rechten Winkel bis Schönfließ bildend, dann einen Buckel um den Saskoschiner Forst bis zum Ottominer See machend, Mattem, Ramkau und das Bissau meiner Großmutter liegen lassend und bei Klein-Katz die Ostsee erreichend, wurde zum Freien Staat erklärt und dem Völkerbund unterstellt. Polen erhielt im eigentlichen Stadtgebiet einen Freihafen, die Westerplatte mit Munitionsdepot, die Verwaltung der Eisenbahn und eine eigene Post am Heveliusplatz.
Während die Briefmarken des Freistaates ein hanseatisch rotgoldenes, Koggen und Wappen zeigendes Gepränge den Briefen boten, frankierten die Polen mit makaber violetten Szenen, die Kasimirs und Batorys Historien illustrierten.
Jan Bronski wechselte zur Polnischen Post über. Sein Übertritt wirkte spontan, desgleichen seine Option für Polen. Viele wollen den Grund für die Erwerbung der polnischen Staatsangehörigkeit im Verhalten meiner Mama gesehen haben. Im Jahre zwanzig, da Marszalek Pilsudski die Rote Armee bei Warschau schlug und das Wunder an der Weichsel von Leuten wie Vinzent Bronski der Jungfrau Maria, von Militärsachverständigen entweder General Sikorski oder General Weygand zugesprochen wurde, in jenem polnischen Jahr also verlobte sich meine Mama mit dem Reichsdeutschen Matzerath.
Fast möchte ich glauben, daß meine Großmutter Anna gleich dem Jan mit dieser Verlobung nicht einverstanden war. Sie überließ den Kellerladen auf dem Troyl, der es inzwischen zu einiger Blüte gebracht hatte, ihrer Tochter, zog zu ihrem Bruder Vinzent nach Bissau, also ins Polnische, übernahm wie in vorkoljaiczekschen Zeiten den Hof mit Rüben-und Kartoffeläckern, gönnte dem mehr und mehr von Gnade gerittenen Bruder Umgang und Zwiegespräch mit der jungfräulichen Königin Polens und begnügte sich damit, in vier
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