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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Röcken hinter herbstlichen Kartoffelkrautfeuern zu hocken und zum Horizont hinzublinzeln, den immer noch Telegrafenstangen einteilten.
    Erst als Jan Bronski seine Hedwig, eine Kaschubsche aus der Stadt, die aber in Ramkau noch Äcker besaß, fand und auch heiratete, besserte sich das Verhältnis zwischen Jan und meiner Mama. Bei einem Tanzvergnügen im Cafe Woyke, da man sich zufällig traf, soll sie den Jan dem Matzerath vorgestellt haben. Die beiden so verschiedenen, doch in bezug auf Mama einmütigen Herren fanden Gefallen aneinander, obgleich Matzerath den Übertritt Jans zur Polnischen Post schlankweg und lautrheinisch eine Schnapsidee nannte. Jan tanzte mit Mama, Matzerath mit der starkknochigen, großgeratenen Hedwig, die den unfaßbaren Blick einer Kuh hatte, was ihre Umgebung veranlaßte, in ihr ständig eine Schwangere zu sehen. Man tanzte noch oft miteinander, durcheinander, dachte beim Tanz an den nächsten Tanz, war sich beim Schieber voraus und beim Englischen Walzer enthoben, fand schließlich im Charleston den Glauben an sich selbst und im Slowfox Sinnlichkeit, die an Religion grenzte.
    Als Alfred Matzerath im Jahre dreiundzwanzig, da man für den Gegenwert einer Streichholzschachtel ein Schlafzimmer tapezieren, also mit Nullen mustern konnte, meine Mama heiratete, war Jan der eine Trauzeuge, ein Kolonialwarenhändler Mühlen der andere. Von jenem Mühlen weiß ich nicht viel zu berichten. Er ist nur nennenswert, weil Mama und Matzerath von ihm einen schlechtgehenden, durchPumpkundschaft ruinierten Kolonialwarenladen im Vorort Langfuhr zu einem Zeitpunkt übernahmen, da die Rentenmark eingeführt wurde. Innerhalb kurzer Zeit gelang es Mama, die sich im Kellerladen auf dem Troyl geschickte Umgangsformen mit jeder Art Pumpkundschaft erworben hatte, die dazu einen angeborenen Geschäftssinn, Witz und Schlagfertigkeit besaß, das verkommene Geschäft soweit wieder hochzuarbeiten, daß Matzerath seinen Vertreterposten in der ohnehin überlaufenen Papierbranche aufgeben mußte, um im Geschäft helfen zu können.
    Die beiden ergänzten sich auf wunderbare Weise. Was Mama hinter dem Ladentisch der Kundschaft gegenüber leistete, erreichte der Rheinländer im Umgang mit Vertretern und beim Einkauf auf dem Großmarkt. Dazu kam die Liebe Matzeraths zur Kochschürze, zur Arbeit in der Küche, die auch das Abwaschen einbezog und Mama, die es mehr mit Schnellgerichten hielt, entlastete.
    Die Wohnung, die sich dem Geschäft anschloß, war zwar eng und verbaut, aber verglichen mit den Wohnverhältnissen auf dem Troyl, die ich nur vom Erzählen her kenne, kleinbürgerlich genug, daß sich Mama, zumindest während der ersten Ehejahre, im Labesweg wohlgefühlt haben muß.
    Außer dem langen, leicht geknickten Korridor, in dem sich zumeist Persilpackungen stapelten, gab es die geräumige, jedoch gleichfalls mit Waren wie Konservendosen, Mehlbeuteln und Haferflockenpäckchen zur guten Hälfte belegte Küche. Das aus zwei Fenstern auf den sommers mit Ostseemuscheln verzierten Vorgarten und die Straße blickende Wohnzimmer bildete das Kernstück der Parterrewohnung. Wenn die Tapete viel Weinrot hatte, bezog beinahe Purpur die Chaiselongue.
    Ein ausziehbarer, an den Ecken abgerundeter Eßtisch, vier schwarze gelederte Stühle und ein rundes Rauchtischchen, das ständig seinen Platz wechseln mußte, standen schwarzbeinig auf blauem Teppich.
    Schwarz und golden zwischen den Fenstern die Standuhr. Schwarz an die purpurne Chaiselongue stoßend, das zuerst gemietete, später langsam abgezahlte Klavier, mit Drehschemelchen auf weißgelblichem Langhaarfell. Demgegenüber das Büfett. Das schwarze Büfett mit von schwarzen Eierstäben eingefaßten, geschliffenen Schiebefenstern, mit schwerschwarzen Fruchtornamenten auf den unteren, das Geschirr und die Tischdecken verschließenden Türen, mit schwarzgekrallten Beinen, schwarz profiliertem Aufsatz — und zwischen der Kristallschale mit Zierobst und dem grünen, in einer Lotterie gewonnenen Pokal jene Lücke, die dank der geschäftlichen Tüchtigkeit meiner Mama später mit einem hellbraunen Radioapparat geschlossen werden sollte.
    Das Schlafzimmer war in Gelb gehalten und sah auf den Hof des vierstöckigen Mietshauses. Glauben Sie mir bitte, daß der Betthimmel der breiten Eheburg hellblau war, daß am Kopfende im hellblauen Licht die gerahmte, verglaste, büßende Magdalena fleischfarben in einer Höhle lag, zum rechten oberen Bildrand aufseufzte und vor der Brust soviel Finger

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