Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
von Trommelrevolvern, vom Trommelfeuer, man trommelt jemanden heraus, man trommelt zusammen, man trommelt ins Grab. Das tun Trommelknaben, Trommelbuben.
    Es gibt Komponisten, die schreiben Konzerte für Streicher und Schlagzeug. Ich darf an den Großen und Kleinen Zapfenstreich erinnern, auch auf Oskars bisherige Versuche hinweisen; all das ist nichts gegen die Trommelorgie, die der Nachtfalter anläßlich meiner Geburt auf zwei simplen Sechzig-Watt-Glühbirnen veranstaltete. Vielleicht gibt es Neger im dunkelsten Afrika, auch solche in Amerika, die Afrika noch nicht vergessen haben, vielleicht mag es diesen rhythmisch organisierten Leuten gegeben sein, gleich oder ähnlich meinem Falter oder afrikanische Falter imitierend — die ja bekanntlich noch größer und prächtiger als die Falter Osteuropas sind — zuchtvoll und entfesselt zugleich zu trommeln; ich halte meine osteuropäischen Maßstäbe, halte mich also an jenen mittelgroßen, bräunlich gepuderten Nachtfalter meiner Geburtsstunde, nenne ihn Oskars Meister.
    Es war in den ersten Septembertagen. Die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau. Von fernher schob ein spätsommerliches Gewitter, Kisten und Schränke verrückend, durch die Nacht. Merkur machte mich kritisch, Uranus einfallsreich, Venus ließ mich ans kleine Glück, Mars an meinen Ehrgeiz glauben. Im Haus des Aszendenten stieg die Waage auf, was mich empfindlich stimmte und zu Übertreibungen verführte.
    Neptun bezog das zehnte, das Haus der Lebensmitte und verankerte mich zwischen Wunder und Täuschung. Saturn war es, der im dritten Haus in Opposition zu Jupiter mein Herkommen in Frage stellte. Wer aber schickte den Falter und erlaubte ihm und dem oberlehrerhaften Gepolter eines spätsommerlichen Donnerwetters, in mir die Lust zur mütterlicherseits versprochenen Blechtrommel zu steigern, mir das Instrument immer handlicher und begehrlicher zu machen?
    Äußerlich schreiend und einen Säugling blaurot vortäuschend, kam ich zu dem Entschluß, meines Vaters Vorschlag, also alles was das Kolonialwarengeschäft betraf, schlankweg abzulehnen, den Wunsch meiner Mama jedoch zu gegebener Zeit, also anläßlich meines dritten Geburtstages, wohlwollend zu prüfen.
    Neben all diesen Spekulationen, meine Zukunft betreffend, bestätigte ich mir: Mama und jener Vater Matzerath hatten nicht das Organ, meine Einwände und Entschlüsse zu verstehen und gegebenenfalls zu respektieren. Einsam und unverstanden lag Oskar unter den Glühbirnen, folgerte, daß das so bleibe, bis sechzig, siebenzig Jahre später ein endgültiger Kurzschluß aller Lichtquellen Strom unterbrechen werde, verlor deshalb die Lust, bevor dieses Leben unter den Glühbirnen anfing; und nur die in Aussicht gestellte Blechtrommel hinderte mich damals, dem Wunsch nach Rückkehr in meine embryonale Kopflage stärkeren Ausdruck zu geben.
    Zudem hatte die Hebamme mich schon abgenabelt; es war nichts mehr zu machen.

DAS FOTOALBUM
    Ich hüte einen Schatz. All die schlimmen, nur aus Kalendertagen bestehenden Jahre lang habe ich ihn gehütet, versteckt, wieder hervorgezogen; während der Reise im Güterwagen drückte ich ihn mir wertvoll gegen die Brust, und wenn ich schlief, schlief Oskar auf seinem Schatz, dem Fotoalbum.
    Was täte ich ohne dieses alles deutlich machende, offen zu Tage liegende Familiengrab?
    Hundertundzwanzig Seiten hat es. Auf jeder Seite kleben neben-und untereinander, rechtwinklig, sorgfältig verteilt, die Symmetrie hier wahrend, dort in Frage stellend, vier oder sechs, manchmal nur zwei Fotos. Es ist in Leder gebunden und riecht, je älter es wird, um so mehr danach. Es gab Zeiten, da Wind und Wetter dem Album zusetzten. Die Fotos lösten sich, zwangen mich durch ihren hilflosen Zustand, Ruhe und Gelegenheit zu suchen, damit Klebstoff den fast verlorenen Bildchen ihren angestammten Platz sicherte.
    Was auf dieser Welt, welcher Roman hätte die epische Breite eines Fotoalbums? Der liebe Gott, der uns als fleißiger Amateur jeden Sonntag von oben herab, also schrecklich verkürzt fotografiert undmehr oder weniger gut belichtet in sein Album klebt, möge mich sicher und jeden noch so genußvollen, doch unschicklich langen Aufenthalt verhindernd, durch dieses mein Album leiten und Oskars Liebe zum Labyrinthischen nicht nähren; ich möchte doch allzu gerne den Fotos die Originale nachliefern.
    So obenhin bemerkt: da gibt es die verschiedensten Uniformen, da wechseln die Mode und der Haarschnitt, da wird Mama dicker, Jan schlaffer, da

Weitere Kostenlose Bücher