Die Blechtrommel
gibt es Leute, die kenne ich gar nicht, da darf man raten: wer machte die Aufnahme, da geht es schließlich bergab; und aus dem Kunstfoto der Jahrhundertwende degeneriert sich das Gebrauchsfoto unserer Tage. Nehmen wir jenes Denkmal meines Großvaters Koljaiczek und dieses Paßfoto meines Freundes Klepp. Ein bloßes Nebeneinanderhalten des bräunlich getönten Großvaterporträts und des glatten, nach einem Stempel schreienden Kleppschen Paßfotos macht mir immer wieder deutlich, wohin uns der Fortschritt auf dem Gebiet des Fotografierens gebracht hat. Allein schon das Drum und Dran dieser Schnellfotografiererei.
Dabei muß ich mir noch mehr Vorwürfe als Klepp machen, da ich, der Besitzer dieses Albums, verpflichtet gewesen wäre, das Niveau zu wahren. Sollte uns eines Tages die Hölle blühen, wird eine der ausgesuchtesten Qualen darin bestehen, den nackten Menschen mit den gerahmten Fotos seiner Tage in einen Raum zu sperren. Schnell etwas Pathos: Oh Mensch zwischen Momentaufnahmen, Schnappschüssen, Paßfotos! Mensch im Blitzlicht, Mensch aufrecht stehend vor Pisas schiefem Turm, Kabinenmensch, der sein rechtes Ohr belichten lassen muß, damit er paßwürdig wird! Und — Pathos weg: Vielleicht wird auch diese Hölle erträglich sein, weil ja die schlimmsten Aufnahmen nur geträumt, nicht gemacht, oder wenn gemacht, nicht entwickelt werden.
Klepp und ich ließen die Aufnahmen während unserer ersten Zeit in der Jülicher Straße, da wir Spaghetti essend Freundschaft schlössen, machen und auch entwickeln. Ich trug mich damals mit Reiseplänen. Das heißt, ich war so traurig, daß ich eine Reise machen und deshalb einen Paß beantragen wollte. Da ich aber nicht genügend Geld hatte, um eine vollwertige, also Rom, Neapel oder wenigstens Paris einschließende Reise finanzieren zu können, war ich froh über diesen Mangel an Bargeld, denn nichts wäre trauriger gewesen, als in bedrücktem Zustand verreisen zu müssen. Da wir beide aber Geld genug hatten, um ins Kino gehen zu können, besuchten Klepp und ich in jener Zeit Lichtspielhäuser, in denen, Klepps Geschmack folgend, Wildwestfilme, meinem Bedürfnis nach.
Streifen gezeigt wurden, auf denen Maria Schell als Krankenschwester weinte und der Borsche als Chefarzt kurz nach schwierigster Operation bei offener Balkontür Beethovensonaten spielte und Verantwortung zeigte.
Wir litten sehr unter der nur zweistündigen Dauer der Filmvorführungen. Manches Programm hätte man sich zweimal ansehen mögen. Oftmals erhoben wir uns auch nach Filmschluß, um an der Kasse abermals ein Billett für dieselben Darbietungen zu erstehen. Aber sobald wir den Kinosaal verlassen hatten und die längere oder kürzere Menschenreihe vor der Tageskasse sahen, schwand uns der Mut.
Nicht nur vor der Kassiererin, auch vor wildfremden Typen, die wahrhaft unverschämt unsere Physiognomie erwanderten, schämten wir uns zu sehr, als daß wir gewagt hätten, die Reihe vor der Kasse zu verlängern.
So gingen wir damals nach fast jeder Filmvorführung in ein Fotogeschäft in der Nähe des Graf-Adolf-Platzes, um Paßbildaufnahmen von uns machen zu lassen. Man kannte uns dort schon, lächelte, wenn wir eintraten, bat aber freundlich Platz zu nehmen; wir waren Kunden, mithin geachtete Leute. Sobald die Kabine frei war, schob uns nacheinander ein Fräulein, von dem ich nur noch weiß, daß es nett war, in die Kabine, rückte und zupfte erst mich, dann Klepp mit einigen Griffen zurecht, hieß uns, auf einen bestimmten Punkt zu blicken, bis zuckendes Licht und eine mit dem Licht verbundene Klingel verrieten, daß wir nun sechsmal nacheinander auf der Platte waren.
Kaum fotografiert und noch leicht starr in den Mundwinkeln, drückte uns das Fräulein in bequeme Korbstühle und bat nett, nur nett und auch nett gekleidet, um fünf Minuten Geduld. Wir warteten gerne. Schließlich hatten wir etwas zu erwarten: unsere Paßbildchen, auf die wir so neugierig waren.
Nach knappen sieben Minuten reichte das immer noch nette, sonst unbeschreibliche Fräulein zwei Tütchen, und wir zahlten.
Dieser Triumph in Klepps leicht vortretenden Augen. Sobald wir die Tüten hatten, hatten wir auch den Anlaß, in die nächste Bierschwemme zu gehen; denn niemand betrachtet seine eigenen Paßbildaufnahmen gerne auf offener, staubiger Straße, im Lärm stehend, im Strom der Passanten ein Hindernis bildend. Wie wir dem Fotogeschäft treu waren, besuchten wir auch immer wieder dieselbe Kneipe in der Friedrichstraße. Bier,
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