Die Blechtrommel
zu Ewigkeit, sursum corda, dignum et justum — das ist würdig und recht, ließ es damit genug sein und beobachtete Maria von der Seite.
Das katholische Beten stand ihr. Sie sah hübsch und malenswert in ihrer Andacht aus. Das Beten verlängert die Wimpern, zieht die Augenbrauen nach, heizt die Wangen ein, macht die Stirn schwer, den Hals biegsam und bewegt die Nasenflügel. Fast hätte mich Marias schmerzlich aufblühendes Gesicht zu Annäherungsversuchen verführt. Doch soll man Betende nicht stören, Betende weder verführen noch sich selbst durch Betende verführen lassen, auch wenn es Betenden angenehm und fürs Gebet förderlich ist, einem Beobachter betrachtenswert zu sein.
So rutschte ich also von dem geglätteten Kirchenholz und ließ meine Hände brav über der Trommel, die meinen Kittel wölbte. Oskar floh Maria, fand auf die Fliesen, schlich mit seinem Blech an den Kreuzwegstationen des linken Kirchenschiffes vorbei, blieb nicht beim Heiligen Antonius — bitte für uns — stehen, denn wir hatten weder eine Geldbörse noch einen Haustürschlüssel verloren, auch den Heiligen Adalbert von Prag, den die alten Pruzzen erschlugen, ließen wir links liegen, gaben nicht Ruhe, hüpften von Fliese zu Fliese — das bot sich als Schachbrett an — bis ein Teppich die Stufen zum linken Seitenaltar ankündigte.
Sie werden mir glauben, daß in der neugotischen Backstein-Herz-Jesu-Kirche und mithin beim linken Seitenaltar alles beim alten geblieben war. Es saß der nacktrosa Jesusknabe immer noch auf dem linken Oberschenkel der Jungfrau, die ich nicht Jungfrau Maria nenne, damit sie mit meiner konvertierenden Maria nicht verwechselt wird. Gegen das rechte Knie der Jungfrau drängte noch immer jener mit schokoladenfarbenem Zottelfell notdürftig bekleidete Täuferknabe. Sie selbst wies wie einst mit dem rechten Zeigefinger auf den Jesus und sah dabei den Johannes an.
Doch Oskar interessierte sich auch nach Jahren der Abwesenheit weniger für den jungfräulichen Mutterstolz als vielmehr für die Beschaffenheit der beiden Knaben. Jesus war etwa so groß wie mein Sohn Kurt anläßlich seines dritten Geburtstages, also zwei Zentimeter größer als Oskar. Johannes, der den Zeugnissen nach älter war als der Nazarener, hatte meine Größe. Beide jedoch hatten denselben altklugen Gesichtsausdruck, der auch mir, dem permanent Dreijährigen geläufig war. Nichts hatte sich verändert. Genau so oberschlau hatten sie dreingesehen, als ich vor soundsoviel Jahren an der Seite meiner armen Mama die Herz-Jesu-Kirche aufgesucht hatte.
Über den Teppich die Stufen, doch ohne Introitus hinauf. Jeden Faltenwurf prüfte ich, ging dem bemalten Gips beider Nackedeis mit meinem Trommelstock, der mehr Gefühl hatte als alle Finger zusammen, langsam, nichts auslassend nach: Schenkel, Bauch, Arme, zählte die Speckfältchen, Grübchen — das war genau Oskars Wuchs, mein gesundes Fleisch, meine kräftigen, etwas verfetteten Knie, meine kurzen, aber muskulösen Trommlerarme. Und der hielt sie auch so, der Bengel. Der saß auf dem Oberschenkel der Jungfrau und hob Arme und Fäuste, als hätte er vor, aufs Blech zu schlagen, als wäre Jesus der Trommler und nicht Oskar der Trommler, als wartete er nur auf mein Blech, als hätte er diesmal ernsthaft vor, der Jungfrau, dem Johannes und mir etwas rhythmisch Reizvolles aufs Blech zu legen.
Ich tat, was ich vor Jahren getan hatte, nahm mir die Trommel vom Bauch und stellte den Jesus auf die Probe. Vorsichtig, um den bemalten Gips bedacht, schob ich ihm Oskars Weißrote auf die rosigen Oberschenkel, tat das jedoch, um mir Genugtuung zu schaffen, hoffte also nicht blöd auf ein Wunder, wollte vielmehr die Ohnmacht plastisch sehen; denn wenn er auch so dasaß und die Fäuste hob, wenn er auch meine Größe und meinen zähen Wuchs hatte, wenn er auch gipsern und leichthin jenen Dreijährigen markierte, den ich mit soviel Mühe und unter den größten Entbehrungen aufrechterhielt — trommeln konnte er nicht, könnt nur so tun als ob, dachte wohl: hätt' ich, so könnt' ich, sagt' ich, du hast und kannst doch nicht, klemmte ihm beide Stöcke, kugelte mich vor Lachen, zwischen die Wurstfinger, zehn — trommle nun, süßester Jesus, bunter Gips trommelt aufs Blech, Oskar zurück, die drei Stufen, runter vom Teppich, auf Fliesen, trommle doch Jesusknabe, Oskar tritt weit hinter sich.
Abstand nimmt er und lacht sich schief, weil der Jesus so dasitzt, trommeln nicht kann, vielleicht will.
— Begann
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