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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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der eingehenden Untersuchung der Trommel mißtrauisch im Auge. Zuerst wurde der weißrote Lack gegen eine Stuhlkante geschlagen, dann fiel das Geschenk auf die Dielen, und Kurtchen suchte und fand den massiven Rumpf des ehemaligen Segelschiffes. Mit diesem Holz schlug er die Trommel. Er trommelte nicht, er zerschlug die Trommel. Keinen noch so einfachen Rhythmus versuchte seine Hand. Monoton gleichmäßig hieb er unter starr angestrengter Miene auf ein Blech, das solch einen Trommler nicht erwartet hatte, das zwar leichteste Stöcke, spielend gewirbelt, doch nicht die Rammstöße eines klobigen Wrackes vertrug.
    Die Trommel knickte, wollte ausweichen, indem sie sich aus den Fassungen löste, wollte sich unsichtbar machen, indem sie weißen und roten Lack aufgab und graublaues Blech um Mitleid bitten ließ. Es zeigte sich jedoch der Sohn dem Geburtstagsgeschenk des Vaters gegenüber unerbittlich. Und als der Vater noch einmal vermitteln wollte und trotz vieler und gleichzeitiger Schmerzen über den Teppich zum Sohn auf den Dielen hinstrebte, trat wieder die Peitsche dazwischen: diese Dame kannte der müde Kreisel, gab das Kreiseln und Brummen auf, und auch die Trommel verzichtete endgültig auf einen empfindsamen, spielerisch wirbelnden, zwar kräftig, doch nicht brutal die Stöcke mischenden Trommler.
    Als Maria eintrat, gehörte die Trommel dem Schrott an. Sie nahm mich auf den Arm, küßte meine geschwollenen Augen, das aufgerissene Ohr, leckte mein Blut und meine gestriemten Hände.
    Oh, hätte Maria doch nicht nur das mißhandelte, zurückgebliebene, bedauernswert abnormale Kind geküßt! Hätte sie doch den geschlagenen Vater erkannt und in jeder Wunde den Geliebten. Was für ein Trost, was für ein heimlicher und wahrer Gatte hätte ich ihr während der folgenden düsteren Monate sein können.
    Da traf es zuerst — und Maria nicht unbedingt angehend — meinen Halbbruder, den gerade zum Leutnant beförderten Stephan Bronski, der zu jenem Zeitpunkt schon nach seinem Stiefvater Ehlers hieß, an der Eismeerfront plötzlich, was seine Offizierslaufbahn für immer in Frage stellte. Während Stephans Vater Jan anläßlich seiner Erschießung als Verteidiger der Polnischen Post auf dem Friedhof Saspe eine Skatkarte unter dem Hemd getragen hatte, schmückten das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, das Infanterie-Sturmabzeichen und der sogenannte Gefrierfleischorden des Leutnants Rock.
    Ende Juni bekam Mutter Truczinski einen leichten Schlaganfall, weil die Post ihr schlechte Nachricht gebracht hatte. Der Unteroffizier Fritz Truczinski war für drei Dinge gleichzeitig gefallen: für Führer, Volk und Vaterland. Das geschah im Mittelabschnitt, und Fritzens Brieftasche mit den Fotos hübscher, zumeist lachender Mädchen aus Heidelberg, Brest, Paris, Bad Kreuznach und Saloniki, sowie die Eisernen Kreuze erster und zweiter Klasse, ich weiß nicht mehr, welches Verwundetenabzeichen, die bronzene Nahkampfspange und die zwei abgetrennten Panzerknackerläppchen, auch einige Briefe schickte ein Hauptmann, namens Kanauer, vom Mittelabschnitt direkt nach Langfuhr in den Labesweg.
    Matzerath half, so gut er konnte, und Mutter Truczinski ging es bald besser, wenn auch nie mehr gut.
    Sie saß fest im Stuhl am Fenster, wollte von mir und Matzerath, der zwei-bis dreimal am Tag herauf kam und etwas mitbrachte, wissen, wo das nun eigentlich liege: »Mittelabschnitt?« Ob das weit sei und ob man da mit der Bahn über Sonntag hinfahren könne.
    Matzerath konnte bei allem guten Willen keine Auskunft geben. So blieb es mir, der ich mich an Sondermeldungen und Wehrmachtsberichten geografisch gebildet hatte, an langen Nachmittagen überlassen, der festsitzenden, dennoch mit dem Kopf wackelnden Mutter Truczinski einige Versionen des immer beweglicher werdenden Mittelabschnittes vorzutrommeln.
    Maria jedoch, die dem flotten Fritz sehr anhing, wurde fromm. Anfangs, den ganzen Juli hindurch, versuchte sie es noch mit ihrer gelernten Religion, ging sonntags zum Pfarrer Hecht in die Christuskirche, und Matzerath begleitete sie manchmal, obgleich sie lieber alleine ging.
    Es wollte der protestantische Gottesdienst der Maria nicht reichen. Mitten in der Woche — war es ein Donnerstag, war es ein Freitag? — noch vor Geschäftsschluß, Matzerath den Laden überlassend, nahm Maria mich, den Katholiken, bei der Hand, wir gingen Richtung Neuer Markt, bogen dann in die Eisenstraße ein, in die Marienstraße, beim Fleischer Wohlgemuth vorbei, bis zum

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