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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kleinhammerpark — schon dachte Oskar, es geht zum Bahnhof Langfuhr, wir machen eine kleine Reise, womöglich nach Bissau in die Kaschubei — als wir links einschwenkten, vor der Bahndammunterführung aus Aberglauben erst einen Güterzug abwarteten, dann durch die Unterführung, in der es ekelhaft tropfte, hindurchfanden und nicht geradeaus zum Filmpalast strebten, sondern links am Bahndamm lang unseren Weg nahmen. Ich kalkulierte: entweder schleppt sie mich zum Brunshöferweg in die Praxis des Dr. Hollatz oder sie will konvertieren, will in die Herz-Jesu-Kirche.
    Die sah mit dem Portal gegen den Bahndamm. Zwischen Bahndamm und offenem Portal blieben wir stehen. Später Augustnachmittag mit Gesumm in der Luft. Hinter uns auf dem Schotter, zwischen den Gleisen hackten und schaufelten Ostarbeiterinnen mit weißen Kopftüchern. Wir standen und guckten in den schattigen, kühlatmenden Kirchenbauch: ganz hinten, geschickt verlockend, ein heftig entzündetes Auge — das ewige Licht. Hinter uns auf dem Bahndamm stellten die Ukrainerinnen das Schaufehl und Hacken ein. Ein Horn tutete, ein Zug nahte, kam, war da, immer noch da, noch nicht vorbei, dann weg, und Horn tutete, Ukrainerinnen schaufelten. Maria war unschlüssig, wußte wohl nicht, welchen Fuß sie vorsetzen sollte, bürdete mir, dem die alleinseligmachende Kirche von Geburt und Taufe her näher stand, die Verantwortung auf; Maria überließ sich seit Jahren, seit jenen zwei Wochen voller Brausepulver und Liebe, wieder einmal Oskars Führung.
    Da ließen wir den Bahndamm und seine Geräusche, August und Augustgebrumm draußen. Etwas wehmütig, mit den Fingerspitzen auf meiner Trommel unter dem Kittel dröselnd, das Gesicht jedoch sich selbst und dem Gleichmut überlassend, erinnerte ich mich der Messen, Pontifikalämter, Vesperandachten und sonnabendlichen Beichten an der Seite meiner armen Mama, die kurz vor ihrem Tode durch allzu heftigen Verkehr mit Jan Bronski fromm wurde, sich Sonnabend für Sonnabend leicht beichtete, sonntags mit dem Sakrament stärkte, um so erleichtert und gestärkt zugleich am folgenden Donnerstag dem Jan in der Tischlergasse zu begegnen. Wie hieß doch Hoch würden damals? Hochwürden hieß Wiehnke, war immer noch Pfarrherr der Herz-Jesu-Kirche, predigte angenehm leise und unverständlich, sang das Credo so dünn und weinerlich, daß selbst mich damals so etwas wie Glauben beschlichen hätte, hätte es nicht jenen linken Seitenaltar mit der Jungfrau, dem Jesusknaben und dem Täuferknaben gegeben.
    Dennoch war es jener Altar, der mich bewog, Maria aus dem Sonnenschein ins Portal, dann über die Fliesen ins Kirchenschiff zu ziehen.
    Oskar nahm sich Zeit, saß ruhig und immer kühler werdend neben Maria im Eichengestühl. Jahre waren vergangen, und dennoch wollte mir vorkommen, als warteten noch immer dieselben Leute, planvoll im Beichtspiegel blätternd, auf Hochwürden Wiehnkes Ohr. Wir saßen etwas abseits, mehr zum Mittelschiff hin. Ich wollte Maria die Wahl lassen und erleichtern. Einerseits war sie dem Beichtstuhl nicht auf verwirrende Weise zu nahe, konnte also auf stille inoffizielle Art konvertieren, andererseits sah sie, wie es vor dem Beichten zuging, konnte also beobachtend zum Entschluß kommen, auch in den Kasten zu Hochwürdens Ohr finden und mit ihm Einzel-heilen ihres Übertrittes zur Alleinseligmachenden besprechen. Sie tat mir leid, wie sie so klein und mit noch ungeschickten Händen unter dem Geruch, Staub, Stuck, unter gewundenen Engeln, gebrochenem Licht, zwischen verkrampften Heiligen, vor, unter und zwischen süß schmerzensreichem Katholizismus kniete und zum erstenmal verkehrt herum das Kreuzzeichen schlug. Oskar tippte Maria an, machte es ihr richtig vor, zeigte der Lernbegierigen, wo hinter ihrer Stirn, wo tief in ihrer Brust, wo genau in ihren Schultergelenken Vater, Sohn und Heiliger Geist wohnen, auch wie man die Hände falten muß, um es zum Amen bringen zu können. Maria gehorchte, ließ die Hände dann im Amen ruhen und begann, aus dem Amen heraus zu beten.
    Anfangs versuchte auch Oskar, betend einiger Verstorbener zu gedenken, verlor sich aber, als er für seine Roswitha zum Herrn flehte, ihr ewige Ruh und Eingang in die himmlischen Freuden erhandeln wollte, dergestalt in Einzelheiten irdischer Art, daß sich ewige Ruhe und himmlische Freuden schließlich in einem Pariser Hotel angesiedelt fanden. Da rettete ich mich in die Präfation, weil es dort einigermaßen unverbindlich zugeht, sagte von Ewigkeit

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