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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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höchstpersönlich mit einem einzigen Daumensprung erreiche und gar überspringe, da ich der Nachfolge Christi, wie all meinen anderen Berufen, mit Unlust verpflichtet bin, male ich mir, dem nichts unerreichbarer geworden ist als der Eingang zu meiner Großmutter, die schönsten Familienszenen im Kreis meiner Vorfahren aus.
    So stelle ich mir besonders an Regentagen vor: meine Großmutter verschickt Einladungen, und wir treffen uns in ihr. Jan Bronski kommt, hat sich Blumen, Nelken etwa, in die Einschußlöcher seiner polnischen Postverteidigerbrust gesteckt. Maria, die auf meine Empfehlung hin eine Einladung bekommen hat, nähert sich schüchtern meiner Mama, zeigt ihr, um Gunst werbend, jene von Mama begonnenen, von Maria tadellos weitergeführten Geschäftsbücher, und Mama schlägt ihre kaschubischste Lache an, zieht meine Geliebte an sich und sagt, ihr die Wange küssend, mit dem Auge zwinkernd: »Abä Marjellchen, wä wird sich da ain Jewissen machen. Haben wä doch alle baide ainen Matzerath jehairatet und ainen Bronski jenährt!«
    Weitere Gedankengänge, wie etwa die Spekulation auf einen von Jan gezeugten, von meiner Mama im Inneren der Großmutter Koljaiczek ausgetragenen und schließlich in jenem Butterfäßchen geborenen Sohn, muß ich mir streng verbieten. Denn sicher zöge dieser Fall einen weiteren Fall nach sich. Da käme womöglich mein Halbbruder Stephan Bronski, der schließlich auch in diesen Kreis gehört, auf die Bronskiidee, zuerst ein Auge, alsbald noch mehr auf meine Maria zu werfen. Da beschränkt sich meine Einbildungskraft lieber auf ein harmloses Familientreffen. Da verzichte ich auf einen dritten und vierten Trommler, lasse es mit Oskar und Kurtchen genug sein, erzähle auf meinem Blech den Anwesenden etwas über jenen Eiffelturm, der mir in fremden Landen die Großmutter ersetzte, und freue mich, wenn die Gäste, einschließlich der einladenden Anna Koljaiczek, an unseren Trommeln Spaß haben und sich gegenseitig, dem Rhythmus gehorchend, aufs Knie schlagen.
    So verführerisch es ist, im Inneren der eigenen Großmutter die Welt und ihre Bezüge zu entfalten, auf beschränkter Ebene vielschichtig zu sein, muß Oskar nun — da er gleich Matzerath nur ein mutmaßlicher Vater ist — sich wieder an die Begebenheiten des zwölften Juni vierundvierzig, an Kurtchens dritten Geburtstag halten.
    Noch einmal: einen Pullover, einen Ball, ein Segelschiff, Peitsche und Brummkreisel bekam der Knabe und sollte von mir noch eine weißrot gelackte Blechtrommel dazu bekommen. Kaum war er mit dem Abtakeln des Segelschiffes fertig, da näherte sich Oskar, hielt das blecherne Geschenk hinter seinem Rücken verborgen, ließ sein gebrauchtes Blech unterm Bauch baumeln. Auf ein Schrittchen standen wir uns gegenüber: Oskar, der Dreikäsehoch; Kurt, der zwei Zentimeter größere Dreikäsehoch. Er machte ein wildböses Kneifgesicht — war wohl noch bei der Zerstörung des Segelschiffes — und zerbrach just in dem Augenblick, da ich die Trommel hervorzog, hochhielt, den letzten Mast der »Pamir«; so hieß der Windjammer.
    Kurt ließ das Wrack fallen, nahm die Trommel an, hielt sie, drehte sie und kam dabei zu etwas ruhigeren, doch immer noch gespannten Gesichtszügen. Nun war es an der Zeit, ihm die Trommelstöcke hinzuhalten. Leider mißverstand er die doppelte Bewegung, fühlte sich bedroht, schlug mir mit dem Blechrand die Hölzer aus den Fingern, griff, als ich mich nach den Knüppeln bücken wollte, hinter sich, traf mich, da ich die Stöcke hatte und ihm ein zweites Mal anbot, mit seinem Geburtstagsgeschenk: mich, nicht den Brummkreisel, Oskar traf er, nicht den Kreisel, der dafür gerillt war, seinem Vater wollte er's Brummen und Kreiseln beibringen, peitschte mich, dachte sich, wart' Brüderchen; so peitschte Kain den Abel, bis Abel sich drehte, torkelnd noch, dann immer hurtiger und exakter, anfangs dunkel, aus unwirschem Gebrumm schon zu höherem Singen findend, das Brummkreiselliedchen sang. Und immer höher hinauf lockte mich Kain mit der Peitsche, da hatte ich Kreide in der Stimme, da ließ ein Tenor sein Morgengebet fließen, so mögen aus Silber getriebene Engel singen, die Wiener Sängerknaben, gedrillte Kastraten - und Abel mag so gesungen haben, bevor er zurückfiel, wie dann auch ich unter der Peitsche des Knaben Kurt zusammensackte.
    Als er mich so, elend nachbrummend, liegen sah, traf er noch mehrmals, als hätte sein Arm nicht genug gehabt, die Zimmerluft. Auch behielt er mich während

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