Die Blechtrommel
daß wir Vierundvierzig ein gutes Kirschenjahr hatten.
Sie standen in Grüppchen um Oskar herum, unterhielten sich halblaut, benutzten einen Jargon, den zu verstehen ich mir keine Mühe gab. Auch riefen sie sich mit merkwürdigen Namen an, die ich mir zum kleineren Teil merkte. So hieß ein etwa fünfzehnjähriges Kerlchen mit leicht verschleierten Rehaugen Ritschhase, manchmal auch Dreschhase. Den daneben nannten sie Putte. Den kleinsten, doch sicher nicht jüngsten Bengel, einen Lispler mit vorstehender Oberlippe, rief man Kohlenklau. Einen Luftwaffenhelfer sprach man als Mister an, einen anderen recht treffend Suppenhuhn, auch gab es historische Namen: Löwenherz, Blaubart hieß ein Milchgesicht, mir wohlvertraute Namen wie Totila und Teja, ja vermessen genug, Belisar und Narses machte ich aus; Störtebeker, der einen richtigen, zum Ententeich verbeulten Velourshut und einen zu langen Regenmantel trug, musterte ich aufmerksamer: er war trotz seiner sechzehn Jährchen der Anführer der Gesellschaft.
Man beachtete Oskar nicht, wollte ihn wohl mürbe machen, und so setzte ich mich halb belustigt, halb über mich, der ich mich auf diese offensichtliche Knabenromantik einließ, verärgert und mit müden Beinen auf meine Trommel, sah mir den so gut wie vollen Mond an und versuchte, einen Teil meiner Gedanken in die Herz-Jesu-Kirche zu schicken.
Vielleicht hätte er heute getrommelt, auch ein Wörtchen gesagt. Und ich saß auf dem Hof der Schokoladenfabrik Baltic, ließ mich auf Ritterundräuberspiele ein. Vielleicht wartete er auf mich, hatte vor, nach einer kurzen Trommeleinlage den Mund abermals aufzutun, mir die Nachfolge Christi zu verdeutlichen, war nun enttäuscht, daß ich nicht kam, hob sicherlich hochmütig die Augenbrauen. Was mochte Jesus von diesen Burschen halten? Was sollte Oskar, sein Ebenbild, sein Nachfolger und Stellvertreter mit dieser Horde anfangen? Konnte er mit Jesu Worten »Lasset die Kindlein zu mir kommen!« Halbwüchsige ansprechen, die sich Putte, Dreschhase, Blaubart, Kohlenklau und Störtebeker nannten?
Störtebeker näherte sich. Neben ihm Kohlenklau, seine rechte Hand. Störtebeker: »Steh auf!«
Oskar hatte die Augen noch beim Mond, die Gedanken noch vor dem linken Seitenaltar der Herz-Jesu-Kirche, stand nicht auf, und Kohlenklau schlug mir, auf einen Wink Störtebekers hin, die Trommel unter dem Gesäß weg.
Als ich aufstand, nahm ich das Blech, um es vor weiteren Schäden besser bewahren zu können, an mich, unter den Kittel.
Ein hübscher Bengel, dieser Störtebeker, dachte Oskar. Die Augen etwas zu tief und zu nah beieinanderliegend, doch die Mundpartie einfallsreich und beweglich. »Wo kommste her?«
Die Fragerei sollte also beginnen, und ich hielt mich, da mir diese Begrüßung nicht gefiel, abermals an die Mondscheibe, stellte mir den Mond — der sich ja alles gefallen läßt — als Trommel vor und lächelte über meinen unverbindlichen Größenwahn. »Der grinst, Störtebeker.«
Kohlenklau beobachtete mich, schlug seinem Chef eine Tätigkeit vor r die er »das Stäuben« nannte.
Andere im Hintergrund, das pickelige Löwenherz, Mister, Dreschhase und Putte waren auch fürs Stäuben.
Immer noch beim Mond, buchstabierte ich mir Stäuben. Welch ein hübsches Wörtchen, doch sicher nichts Angenehmes.
»Hier bestimme ich, wann gestäubt wird!« beendete Störtebeker das Gemurmel seiner Bande, meinte dann wieder mich: »Haben dich oft genug in der Bahnhofstraße gesehen. Was machste da? Wo kommste her?«
Zwei Fragen auf einmal. Wenigstens zu einer Antwort mußte sich Oskar entschließen, wenn er Herr der Lage bleiben wollte. So zog ich das Gesicht vom Mond weg, blickte den Störtebeker mit meinen blauen, einflußreichen Augen an und sagte ruhig: »Aus der Kirche komme ich.«
Etwas Gemurmel hinter Störtebekers Regenmantel. Sie ergänzten meine Antwort. Kohlenklau fand heraus, daß ich mit Kirche die Herz-Jesu-Kirche meinte.
»Wie heißt du?«
- Diese Frage mußte kommen. Das lag an der Begegnung. Diese Fragestellung nimmt einen wesentlichen Platz in der menschlichen Konversation ein. Von der Beantwortung dieser Frage leben längere und kürzere Theaterstücke, auch Opern — siehe Lohengrin.
Da wartete ich das Mondlicht zwischen zwei Wolken ab, ließ jenen Glanz im Blau meiner Augen drei Löffel Suppe lang auf Störtebeker wirken und sagte dann, nannte mich, war neidisch auf die Wirkung des Wortes — denn den Namen Oskar hätten die allenfalls mit Gelächter
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