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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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über die Reichskolonie zum Max-Halbe-Platz. Als ich an einem der letzten Augusttage zu spät zur Kirche kam und das Portal schon verschlossen fand, entschloß ich mich zu einem größeren Umweg, der meiner Wut Luft machen sollte. Die Bahnhofstraße lief ich, jede dritte Laterne killend, hoch, bog hinterm Filmpalast rechts in die Adolf-Hitler-Straße ein, ließ die Fensterfront der Infanteriekaserne links liegen, kühlte jedoch mein Mütchen an einer mir aus Richtung Oliva entgegenkommenden, fast leeren Straßenbahn, deren linker Seite ich alle trüb abgedunkelten Scheiben nahm.
    Kaum achtete Oskar auf seinen Erfolg, ließ die Straßenbahn kreischen und bremsen, ließ die Leute aussteigen, schimpfen und wieder einsteigen, suchte nach einem Nachtisch für seine Wut, nach einem Leckerbissen in jener an Leckerbissen so armen Zeit und blieb erst in seinen Schnürschuhen stehen, als er am äußersten Rand des Vorortes Langfuhr angelangt, neben der Tischlerei Berendt, dem weiten Barackenlager des Flugplatzes vorgelagert, das Hauptgebäude der Schokoladenfabrik Baltic im Mondschein liegen sah.
    Meine Wut war jedoch nicht mehr so groß, daß ich mich der Fabrik auf altbewährte Weise sofort vorgestellt hätte. Zeit nahm ich mir, zählte die vom Mond vorgezählten Scheiben nach, kam mit dem Mond zum selben Ergebnis, hätte jetzt mit der Vorstellung beginnen können, wollte aber erst wissen, was es mit den Halbwüchsigen auf sich hatte, die mir von Hochstrieß an, vermutlich schon unter den Kastanien der Bahnhofstraße hinterher waren. Allein sechs oder sieben standen vor oder in dem Wartehäuschen neben der Straßenbahnhaltestelle Hohenfriedberger Weg. Fünf weitere Burschen ließen sich hinter den ersten Bäumen der Chaussee nach Zoppot ausmachen.
    Schon wollte ich den Besuch der Schokoladenfabrik verschieben, den Burschen aus dem Wege gehen, also einen Umweg machen und über die Eisenbahnbrücke am Flugplatz entlang durch die Laubenkolonie zur Aktienbierbrauerei am Kleinhammerweg schleichen, als Oskar auch von der Brücke her ihre aufeinander abgestimmten, signalartigen Pfiffe hörte. Da gab es keinen Zweifel mehr: der Aufmarsch galt mir.
    Man zählt sich in solchen Lagen, während der kurzen Zeitspanne, da die Verfolger ausgemacht sind, die Hatz aber noch nicht begonnen hat, breit und genießerisch die letzten Rettungsmöglichkeiten auf: da hätte Oskar laut nach Mama und Papa schreien können. Da hätte ich wen nicht alles, womöglich einen Polizisten herbeitrommeln können. Da hätte ich bei meiner Statur gewiß die Unterstützung der Erwachsenen gefunden, lehnte aber — konsequent wie Oskar mitunter sein konnte — die Hilfe ausgewachsener Passanten, die Vermittlung eines Polizisten ab, wollte es, von Neugierde und Selbstbewußtsein geplagt, darauf ankommen lassen, tat das Allerdümmste: den geteerten Zaun vor dem Schokoladenfabrikgelände suchte ich nach einer Lücke ab, fand keine, sah, wie die Halbwüchsigen das Wartehäuschen an der Haltestelle, die Baumschatten der Zoppoter Chaussee verließen, Oskar weiter am Zaun entlang, jetzt kamen sie auch von der Brücke her, und der Bretterzaun hatte immer noch kein Loch, die kamen nicht schnell, eher schlendernd und vereinzelt, ein bißchen konnte Oskar noch suchen, die gönnten mir gerade soviel Zeit, wie man braucht, um eine Lücke im Zaun zu finden, doch als dann endlich eine einzige Planke fehlte, und ich mich, irgendwo ein Eckloch reißend, durch den Spalt quetschte, standen mir auf der anderen Seite des Zaunes vier Burschen in Windblusen gegenüber, die mit ihren Pfoten die Taschen ihrer Skihosen beutelten.
    Da ich das Unabänderliche meiner Situation sofort begriff, suchte ich erst einmal meine Kleidung nach jenem Eckloch ab, das ich mir in der Zaunlücke gerissen hatte. Es fand sich rechts hinten an der Hose.
    Mit zwei gespreizten Fingern maß ich es aus, fand es- ärgerlich groß, stellte mich aber gleichgültig und wartete mit dem endgültigen Aufblicken, bis alle Burschen von der Straßenbahnhaltestelle, von der Chaussee und der Brücke über den Zaun geklettert waren; denn die Lücke im Zaun war denen nicht angemessen.
    Das ereignete sich in den letzten Augusttagen. Der Mond hielt sich von Zeit zu Zeit eine Wolke vor.
    So an die zwanzig Burschen zählte ich. Die jüngsten vierzehn, die ältesten sechzehn, fast siebzehn.
    Vierundvierzig hatten wir einen warmen, trockenen Sommer. Vier von den größeren Bengels trugen Luftwaffenhelferuniformen. Ich erinnere mich,

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