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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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quittiert — und Oskar sagte:
    »Ich heiße Jesus«, bewirkte längere Stille mit diesem Bekenntnis, bis Kohlenklau sich räusperte: »Wir müssen ihn doch stäuben, Chef.«
    Nicht nur Kohlenklau war fürs Stäuben. Störtebeker gab mit den Fingern schnalzend seine Erlaubnis zum Stäuben, und Kohlenklau packte mich, drückte mir seine Knöchel gegen den rechten Oberarm, bewegte sie trocken, rasch, heiß und schmerzhaft, bis Störtebeker abermals, jetzt Einhalt gebietend mit den Fingern schnalzte — das war also das Stäuben!
    »Na, wie heißte nun?« Der Chef mit dem Velourshut gab sich gelangweilt, machte rechts eine Boxbewegung, die den zu langen Ärmel seines Regenmantels zurückrutschen ließ, zeigte im Mondschein seine Armbanduhr und flüsterte links an mir vorbei: »Eine Minute Bedenkzeit. Dann sagt Störtebeker Feierabend.«
    Immerhin eine Minute lang durfte sich Oskar ungestraft den Mond ansehen, Ausflüchte in dessen Kratern suchen und den einmal gefaßten Entschluß zur Nachfolge Christi in Frage stellen. Weil mir das Wörtchen Feierabend nicht gefiel, auch weil ich mich von den Burschen auf keinen Fall mit Uhrzeiten bevormunden lassen wollte, sagte Oskar nach etwa fünfunddreißig Sekunden: »Ich bin Jesus.«
    Das Folgende wirkte effektvoll und war dennoch nicht von mir inszeniert. Sogleich nach meinem abermaligen Bekenntnis zur Nachfolge Christi, bevor Störtebeker mit den Fingern schnalzen, Kohlenklau stäuben konnte — gab es Fliegeralarm.
    Oskar sagte »Jesus«, atmete wieder ein, und nacheinander bestätigten mich die Sirenen des nahen Flugplatzes, die Sirene auf dem Hauptgebäude der Infanteriekaserne Hochstrieß, die Sirene auf dem Dach der kurz vorm Langfuhrer Wald liegenden Horst-Wessel-Oberschule, die Sirene auf dem Kaufhaus Sternfeld und ganz fern, von der Hindenburgallee her, die Sirene der Technischen Hochschule. Es brauchte seine Zeit, bis alle Sirenen des Vorortes langatmig und eindringlich gleich Erzengeln die von mir verkündete frohe Botschaft aufnahmen, die Nacht schwellen und einsinken, die Träume flimmern und reißen ließen, den Schläfern ins Ohr krochen und dem Mond, der nicht zu beeinflussen war, die schreckliche Bedeutung eines nicht zu verdunkelnden Himmelskörpers gaben.
    Während Oskar den Fliegeralarm ganz auf seiner Seite wußte, machten die Sirenen den Störtebeker nervös. Ein Teil seiner Bande wurde durch den Alarm direkt und dienstlich angesprochen. So mußte er die vier Luftwaffenhelfer über den Zaun zu ihren Batterien, zu den Acht-Komma-Acht-Stellungen zwischen Straßenbahndepot und Flugplatz schicken. Drei seiner Leute, darunter Belisar, hatten Luftschutzwache im Conradinum, mußten also auch sogleich fort. Den Rest, etwa fünfzehn Burschen, hielt er zusammen und begann, da am Himmel nichts los war, wieder mit dem Verhör: »Also wenn wir richtig verstanden haben, biste Jesus. — Lassen wir das. Andere Frage: wie machste das mit den Laternen und Fensterscheiben? Keine Ausflüchte, wir wissen Bescheid!«
    Nun, Bescheid wußten die Burschen nicht. Allenfalls hatten sie diesen oder jenen Erfolg meiner Stimme beobachtet. Oskar befahl sich einige Nachsicht mit jenen Halbwüchsigen, die man heutzutage kurz und bündig Halbstarke nennen würde. Ich versuchte, ihre direkte und teilweise ungeschickte Zielstrebigkeit zu entschuldigen, gab mich mild objektiv. Das also waren die berüchtigten Stäuber, von denen seit einigen Wochen die ganze Stadt sprach; eine Jugendbande, der die Kriminalpolizei und mehrere Züge des HJ-Streifendienstes hinterher waren. Wie sich später herausstellen sollte: Gymnasiasten des Conradinums, der Petri-Oberschule und der Horst-Wessel-Oberschule. Auch gab es eine zweite Gruppe der Stäuberbande in Neufahrwasser, die zwar von Gymnasiasten geführt wurde, aber zu gut zwei Dritteln Lehrlinge der Schichauwerft und der Waggonfabrik zu Mitgliedern hatte. Die beiden Gruppen arbeiteten nur selten, eigentlich nur dann zusammen, wenn sie von der Schichaugasse aus den Steffenspark und die nächtliche Hindenburgallee nach BdM-Führerinnen abkämmten, die nach Schulungsabenden von der Jugendherberge auf dem Bischofsberg heimkehrten. Man vermied Streitigkeiten zwischen den Gruppen, grenzte die Aktionsgebiete genau ab, und Störtebeker sah in dem Anführer der Neufahrwasseraner mehr einen Freund als einen Rivalen. Die Stäuberbande kämpfte gegen alles. Sie räumten die Dienststellen der Hitlerjugend aus, hatten es auf die Orden und Rangabzeichen von

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