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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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freigab, nahm sich die Uhr ab, reichte sie mir wortlos, aber schweratmend, wollte etwas sagen, mußte aber die mit der Entwarnung beschäftigten Sirenen abwarten, bis er mir unter dem Beifall seiner Leute gestehen konnte: »Gut Jesus. Wenn du willst, biste aufgenommen und kannst mitmachen. Wir sind die Stäuber, wenn dir das ein Begriff ist!«
    Oskar wog die Armbanduhr in der Hand, schenkte das recht raffinierte Ding mit den Leuchtziffern und der Uhrzeit null Uhr dreiundzwanzig dem Bürschchen Kohlenklau. Der sah seinen Chef fragend an.
    Störtebeker gab nickend die Einwilligung. Und Oskar sagte, indem er sich die Trommel für den Heimweg bequem rückte: »Jesus geht euch voran. Folget mir nach!«

DAS KRIPPENSPIEL
    Man sprach damals viel von Wunderwaffen und vom Endsieg. Wir, die Stäuber, sprachen weder vom einen noch vom anderen, hatten aber die Wunderwaffe.
    Als Oskar die Führung der dreißig bis vierzig Mitglieder zählenden Bande übernahm, ließ ich mir von Störtebeker zuerst den Chef der Gruppe Neufahrwasser vorstellen. Moorkähne, ein hinkender Siebzehnjähriger, Sohn eines leitenden Beamten im Lotsenamt Neufahrwasser, war wegen seiner Körperbehinderung — sein rechtes Bein war zwei Zentimeter kürzer als sein linkes — weder Luftwaffenhelfer noch Rekrut geworden. Obgleich Moorkähne sein Hinken selbstbewußt und deutlich ablesbar zur Schau stellte, war er schüchtern und sprach leise. Der immer etwas verschlagen lächelnde junge Mann galt als bester Schüler der Prima im Conradinum und hatte — vorausgesetzt, daß die russische Armee keinen Einspruch erheben würde — alle Aussichten, sein Abitur mustergültig zu bestehen; Moorkähne wollte Philosophie studieren.
    Genauso bedingungslos, wie mich Störtebeker respektierte, sah der Hinker in mir den Jesus, der den Stäubern voranging. Gleich anfangs ließ sich Oskar von den beiden das Depot und die Kasse zeigen, denn beide Gruppen sammelten die Erträge ihrer Beutezüge im selben Keller. Der befand sich trocken und geräumig in einer still vornehmen Langfuhrer Villa am Jeschkentalerweg. Püttes Eltern, die sich »von Puttkamer« nannten, bewohnten das von allerlei Kletterpflanzen umrankte, mittels einer sanft ansteigenden Wiese der Straße entrückte Grundstück — das heißt, Herr von Puttkamer befand sich im schönen Frankreich, befehligte eine Division, war Ritterkreuzträger pommersch-polnisch-preußischer Herkunft; Frau Elisabeth von Puttkamer hingegen war kränklich, schon seit Monaten in Oberbayern; dort sollte sie genesen. Wolfgang von Puttkamer, den die Stäuber Putte riefen, beherrschte die Villa; denn jene alte, fast taube Magd, die in den oberen Räumen für das Wohl des jungen Herrn sorgte, sahen wir nie, da wir den Keller durch die Waschküche erreichten.
    Im Depot stapelten sich Konservendosen, Tabakwaren und mehrere Ballen Fallschirmseide. An einem Regal hingen zwei Dutzend Wehrmachtdienstuhren, die Putte auf Störtebekers Befehl ständig in Gang zu halten und aufeinander abzustimmen hatte. Auch mußte der die zwei Maschinenpistolen, das Sturmgewehr und die Pistolen reinigen. Man zeigte mir eine Panzerfaust, MG-Munition und fünfundzwanzig Handgranaten. Das alles und eine stattliche Reihe Benzinkanister war für die Erstürmung des Wirtschaftsamtes bestimmt. So lautete denn Oskars erster Befehl, den ich als Jesus aussprach: »Waffen und Benzin im Garten vergraben. Schlagbolzen an Jesus abliefern. Unsere Waffen sind anderer Art!«
    Als mir die Burschen eine Zigarrenkiste voller zusammengeraubter Orden und Ehrenzeichen vorzeigten, erlaubte ich ihnen lächelnd den Besitz der Dekorationen. Doch hätte ich die Fallschirmjägermesser den Burschen abnehmen sollen. Sie gebrauchten später die Klingen, die ja so schön im Griff lagen und gebraucht werden wollten.
    Dann brachte man mir die Kasse. Oskar ließ vorzählen, zählte nach und ließ einen Kassenstand von zweitausendvierhundertzwanzig Reichsmark notieren. Das war Anfang September vierundvierzig.
    Und als Mitte Januar fünfundvierzig Konjew und Schukow den Durchbruch an der Weichsel erzwangen, sahen wir uns gezwungen, unsere Kasse im Kellerdepot preiszugeben. Putte legte das Geständnis ab, und auf dem Tisch des Oberlandesgerichtes bündelten und stapelten sich sechsunddreißigtausend Reichsmark.
    Meiner Natur entsprechend hielt Oskar sich während der Aktionen im Hintergrund. Tagsüber suchte ich zumeist alleine, und wenn, dann nur von Störtebeker begleitet, ein lohnendes Ziel für das

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