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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Fronturlaubern abgesehen, die mit ihren Mädchen in den Parkanlagen Liebe machten, stahlen Waffen, Munition und Benzin mit Hilfe ihrer Luftwaffenhelfer aus den Flakbatterien und planten von Anfang an einen großen Angriff auf das Wirtschaftsamt.
    Ohne etwas von der Organisation und den Plänen der Stäuber zu wissen, wollte Oskar, der sich damals recht verlassen und erbärmlich vorkam, im Kreis der Halbwüchsigen ein Gefühl von Geborgenheit beschleichen. Schon machte ich mich insgeheim mit den Burschen gemein, schlug den Einwand des zu großen Altersunterschiedes — ich sollte zwanzig werden — in den Wind und hielt mir Vor: warum sollst du den Burschen nicht eine Probe deiner Kunst zeigen? Jungens sind immer wißbegierig. Du warst auch einmal fünfzehn und sechzehn Jahre alt. Gib ihnen ein Beispiel, mach ihnen etwas vor. Sie werden dich bewundern, werden dir womöglich fortan gehorchen. Deinen durch viele Erfahrungen gewitzten Einfluß kannst du ausüben, gehorche jetzt schon deiner Berufung, sammle Jünger und trete die Nachfolge Christi an.
    Vielleicht ahnte Störtebeker, daß meine Nachdenklichkeit wohlbegründet-war. Er ließ mir Zeit, und ich war ihm dankbar dafür. Ende August. Eine Mondnacht, leichtbewölkt. Fliegeralarm. Zwei, drei Scheinwerfer an der Küste. Wahrscheinlich ein Aufklärungsflugzeug. In jenen Tagen wurde Paris geräumt. Mir gegenüber das vielfenstrige Hauptgebäude der Schokoladenfabrik Baltic. Nach langem Lauf kam die Heeresgruppe Mitte an der Weichsel zum Stehen. Allerdings arbeitete Baltic nicht mehr für den Einzelhandel, sondern stellte Schokolade für die Luftwaffe her. So mußte Oskar sich auch mit derVorstellung vertraut machen, daß die Soldaten des General Patton ihre amerikanischen Uniformen unter dem Eiffelturm spazierenführten. Das war schmerzlich für mich, und Oskar hob einen Trommelstock. Soviele gemeinsame Stunden mit Roswitha. Und Störtebeker bemerkte meine Geste, ließ seinen Blick dem Trommelstock folgen und auf die Schokoladenfabrik gleiten. Während man bei hellstem Tageslicht im Pazifik ein Inselchen von Japanern säuberte, lag hier der Mond in allen Fenstern der Fabrik gleichzeitig. Und Oskar sagte zu allen, die es hören wollten: »Jesus zersingt jetzt das Glas.«
    Schon bevor ich die ersten drei Scheiben abfertigte, fiel mir das Gebrumm einer Fliege hoch über mir auf. Während zwei weitere Scheiben das Mondlicht aufgaben, dachte ich: das ist eine sterbende Fliege, die brummt so laut. Dann malte ich mit meiner Stimme die restlichen Fensterfüllungen des obersten Fabrikstockwerkes schwarz und überzeugte mich von der Bleichsucht mehrerer Scheinwerfer, bevor ich die Spiegelungen der Lichter, die in der Batterie neben dem Narviklager beheimatet sein mochten, aus mehreren Fabrikfenstern des mittleren und untersten Stockwerkes nahm. Zuerst schössen die Küstenbatterien, dann gab ich dem mittleren Stockwerk den Rest. Gleich darauf erhielten die Batterien Altschottland, Pelonken und Schellmühl Feuererlaubnis. Das waren drei Fenster im Parterre — und das waren Nachtjäger, die auf dem Flugplatz starteten, flach über die Fabrik hinwegstrichen. Noch bevor ich mit dem Erdgeschoß fertig war, stellte die Flak das Schießen ein und überließ es den Nachtjägern, einen über Oliva von drei Scheinwerfern gleichzeitig gefeierten viermotorigen Fernbomber abzuschießen.
    Anfangs trug sich Oskar noch mit der Befürchtung, die Gleichzeitigkeit seiner Darbietung mit den effektvollen Anstrengungen der Fliegerabwehr könnte die Aufmerksamkeit der Burschen teilen oder sogar von der Fabrik weg in den Nachthimmel locken.
    Um so erstaunter war ich, als nach getaner Arbeit die gesamte Bande immer noch nicht von der fensterscheibenlosen Schokoladenfabrik loskam. Selbst als vom nahen Hohenfriedberger Weg her Bravorufe und Applaus wie im Theater laut wurden, weil es den Bomber erwischt hatte, weil der brennend, den Leuten was bietend, im Jeschkentalerwald mehr abstürzte als landete, rissen sich nur wenige Bandenmitglieder, unter ihnen Putte, von der entglasten Fabrik los. Doch weder Störtebeker noch Kohlenklau, auf die es mir eigentlich ankam, gaben etwas auf den Abschuß.
    Dann waren wie zuvor nur noch der Mond und der Kleinkram der Sterne am Himmel. Die Nachtjäger landeten. Sehr entfernt wurde etwas Feuerwehr laut. Da drehte sich Störtebeker, zeigte mir seinen immer verächtlich geschwungenen Mund, machte jene Boxbewegung, die die Armbanduhr unter dem zu langen Regenmantelärmel

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