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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Blutwurst mit Zwiebeln und Schwarzbrot bestellend, breiteten wir, noch bevor das Bestellte gebracht wurde, die etwas feuchten Aufnahmen, das ganze Rund der hölzernen Tischplatte einbeziehend, aus und vertieften uns bei prompt serviertem Bier mit Blutwurst in die eigenen angestrengten Gesichtszüge.
    Immer trugen wir außerdem Aufnahmen bei uns, die anläßlich des letzten Kinotages gemacht worden waren. So bot sich Gelegenheit zum Vergleich; und wo sich Gelegenheit zum Vergleich bietet, darf man auch ein zweites, drittes, viertes Glas Bier bestellen, damit Lustigkeit aufkommt oder, wie man im Rheinland sagt: Stimmung.
    Dennoch soll hier nicht behauptet werden, daß es einem traurigen Menschen möglich ist, mittels einer Paßbildaufnahme seiner selbst, die eigene Trauer ungegenständlich zu machen; denn die echte Trauer ist schon an sich ungegenständlich, zumindest meine und auch Klepps ließ sich auf nichts zurückführen und bewies gerade in ihrer nahezu freifröhlichen Ungegenständlichkeit eine durch nichts zu vergrämende Stärke. Wenn es eine Möglichkeit gab, mit unserer Trauer anzubändeln, dann nur über die Fotos, weil wir in serienmäßig hergestellten Schnellaufnahmen uns selbst zwar nicht deutlich, aber, was wichtiger war, passiv und neutralisiert fanden. Wir konnten mit uns beliebig umgehen, Bier dabei trinken, mit Blutwürsten grausam sein, Stimmung aufkommen lassen und spielen. Wir knickten, falteten, zerschnitten mit Scheren, die wir eigens zu diesem Zweck immer bei uns trugen, die Bildchen. Wir setzten ältere und neuere Konterfeie zusammen, gaben uns einäugig, dreiäugig, beehrten uns mit Nasen, sprachen oder schwiegen mit dem rechten Ohr und boten dem Kinn die Stirn.
    Nicht nur dem eigenen Abbild widerfuhren diese Montagen; Klepp lieh sich Details bei mir aus, ich erbat mir Charakteristisches von ihm: es gelang uns, neue und, wie wir hofften, glücklichere Geschöpfe zu erschaffen. Dann und wann verschenkten wir ein Foto.
    Wir — ich beschränke mich auf Klepp und mich, lasse montierte Persönlichkeiten aus dem Spiel — wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, dem Kellner der Bierschwemme, den wir Rudi nannten, bei jedem Besuch, und die Schwemme sah uns wenigstens einmal in der Woche, ein Foto zu schenken. Rudi, ein Typ, der zwölf Kinder verdient hätte und die Vormundschaft für acht weitere, kannte unsere Not, besaß schon Dutzende Profilaufnahmen und noch mehr Bildchen en face, zeigte doch jedesmal ein anteilnehmendes Gesicht und sagte Dank, wenn wir nach langer Beratung und peinlich gestrenger Auswahl die Fotos überreichten.
    Der Serviererin am Büfett und dem fuchsigen Mädchen mit dem Zigarettenbauchladen hat Oskar nie ein Foto geschenkt; denn Frauen soll man keine Fotos schenken — sie treiben nur Mißbrauch damit.
    Klepp jedoch, der bei all seiner Behäbigkeit Frauen gegenüber sich nie genug tun konnte und mitteilsam bis zur Tollkühnheit vor jeder das Hemd gewechselt hätte, er muß eines Tages dem Zigarettenmädchen, ohne mein Wissen, ein Foto geschenkt haben, denn er hat sich mit dem grünen schnippischen Ding verlobt, hat es eines Tages geheiratet, weil er sein Foto wieder zurück haben will.
    Ich habe vorgegriffen und den letzten Blättern des Fotoalbums zu viele Worte gewidmet. Die dummen Schnappschüsse verdienen es nicht oder nur im Sinne eines Vergleiches, der klarmachen sollte, wie groß und unerreichbar, ja künstlerisch das Porträt meines Großvaters Koljaiczek auf der ersten Seite des Fotoalbums heute noch auf mich wirkt.
    Klein und breit steht er neben einem gedrechselten Tischchen. Leider ließ er die Aufnahme nicht als Brandstifter, sondern als freiwilliger Feuerwehrmann Wranka machen. Es fehlt ihm also der Schnauzbart. Aber die straff sitzende Feuerwehruniform mit Rettungsmedaille und dem das Tischchen zum Altar machenden Feuerwehrhelm ersetzen den Schnauz des Brandstifters beinahe. Wie ernst und um alles Leid der Jahrhundertwende wissend er dreinzublicken weiß. Jener bei aller Tragik noch stolze Blick schien in den Zeiten des zweiten Kaiserreiches beliebt und geläufig gewesen zu sein, zeigt ihn doch gleichfalls Gregor Koljaiczek, der trunkene, auf den Fotos eher nüchtern wirkende Pulvermüller. Mehr mystisch, weil in Tschenstochau aufgenommen, hält es den eine geweihte Kerze haltenden Vinzent Bronski fest. Ein Jugendbildnis des schmächtigen Jan Bronski ist ein mit den Mitteln der frühen Fotografie gewonnenes Zeugnis bewußt schwermütiger

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