Die Blechtrommel
Männlichkeit.
Den Frauen jener Zeit gelang dieser Blick über entsprechender Haltung seltener. Selbst meine Großmutter Anna, die doch, bei Gott, eine Person war, ziert sich auf den Aufnahmen vor Ausbruch des ersten Weltkrieges hinter einem dümmlich draufgesetzten Lächeln und läßt nichts von der Asyl bietenden Spannweite ihrer vier übereinanderfallenden, so verschwiegenen Röcke ahnen.
Sie lächelten auch noch während der Kriegsjahre dem knipsknips machenden, unter schwarzem Tuch tänzelnden Fotografen zu. Gleich dreiundzwanzig Krankenschwestern, darunter Mama als Hilfskrankenschwester im Lazarett Silberhammer, habe ich verschüchtert, um einen Halt bietenden Stabsarzt drängend, auf festem Karton von doppelter Postkartengröße. Etwas lockerer geben sich die Lazarettdamen in der gestellten Szene eines Kostümfestes, bei dem auch fast genesene Krieger mitwirkten. Mama riskiert ein zugekniffenes Auge und einen Kußmund, der trotz ihrer Engelsflügel und Lamettahaare sagen will: Auch Engel haben ein Geschlecht. Der vor ihr knieende Matzerath hat eine Verkleidung gewählt, die er allzu gerne zur täglichen Kleidung gemacht hätte: er zeigt sich als löffelschwingender Koch unter gestärkter Kochmütze. Hingegen in Uniform, mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse behaftet, blickt auch er, den Koljaiczeks und Bronskis ähnlich, tragisch bewußt geradeaus und ist den Frauen auf allen Fotos überlegen.
Nach dem Kriege zeigte man ein anderes Gesicht. Die Männer schauen leicht abgemustert drein, und nun sind es die Frauen, die es verstehen, sich ins Bildformat zu stellen, die den Grund haben, ernst dreinzublicken, die, selbst wenn sie lächeln, die Untermalung gelernten Schmerz nicht leugnen wollen.
Sie stand ihnen gut, die Wehmut den Frauen der zwanziger Jahre. Gelingt es ihnen nicht, sitzend, stehend und halb liegend, schwarzhaarige Mondsicheln an die Schläfe klebend, zwischen Madonna und Käuflichkeit eine versöhnliche Bindung zu knüpfen?
Das Bild meiner dreiundzwanzigj ährigen Mama — es muß kurz vor Beginn ihrer Schwangerschaft aufgenommen worden sein — zeigt eine junge Frau, die den runden, ruhig geformten Kopf auf straff fleischigem Hals leicht neigt, den jeweiligen Beschauer ihres Bildes jedoch direkt anblickt, die bloß sinnlichen Konturen mit besagt wehmütigem Lächeln und einem Augenpaar auflöst, das gewohnt zu sein scheint, mehr grau als blau die Seelen der Mitmenschen wie auch die eigene Seele gleich einem festen Gegenstand — sagen wir, Kaffeetasse oder Zigarettenspitze — zu betrachten. Es dürfte das Wörtchen seelenvoll allerdings nicht reichen, setzte ich es dem Blick meiner Mama als Eigenschaftswort davor.
Nicht interessanter, aber leichter zu beurteilen und darum aufschlußreicher sind die Gruppenfotos jener Zeit. Erstaunlich, um wieviel schöner und bräutlicher die Hochzeitskleider waren, als man den Vertrag zu Rapallo unterzeichnete. Matzerath trägt auf seinem Hochzeitsfoto noch einen steifen Kragen. Er sieht gut aus, elegant, fast intellektuell. Den rechten Fuß stellt er vor, möchte vielleicht einem Filmschauspieler seiner Tage, Harry Liedtke etwa, gleichen. Man trug damals kurz. Das bräutliche Kleid meiner bräutlichen Mama, ein weißer, tausendfältiger Plisseerock reicht bis knapp unters Knie, zeigt ihre gutgeformten Beine und zierlichen Tanzfüßchen in weißen Spangenschuhen.
Auf anderen Abzügen drängt die ganze Hochzeitsgesellschaft. Zwischen städtisch Gekleideten und Posierenden fallen immer wieder die Großmutter Anna und ihr begnadeter Bruder Vinzent durch provinzielle Strenge und Vertrauen einflößende Unsicherheit auf. Jan Bronski, der ja gleich meiner Mama vom selben Kartoffelacker herstammt wie seine Tante Anna und sein der himmlischen Jungfrau ergebener Vater, weiß ländlich kaschubische Herkunft hinter der festlichen Eleganz eines polnischen Postsekretärs zu verbergen. So klein und gefährdet er auch zwischen den Gesunden und Platzeinnehmenden stehen mag, sein ungewöhnliches Auge, die fast weibische Ebenmäßigkeit seines Gesichtes bilden, selbst wenn er am Rande steht, den Mittelpunkt jedes Fotos.
Schon längere Zeit betrachte ich eine Gruppe, die kurz nach der Hochzeit aufgenommen wurde. Ich muß zur Trommel greifen und mit meinen Stöcken vor dem matten, bräunlichen Viereck versuchen, das auf dem Karton erkennbare Dreigestirn auf gelacktem Blech zu beschwören.
Die Gelegenheit für dieses Bild wird sich Ecke Magdeburger Straße — Heeresanger
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