Die Blechtrommel
nachsprechen: einen Text, der so albern und voller Hokuspokus war, daß ich ihn nicht mehr zusammenbekomme.
Oskar-beobachtete Luzie bei der Vereidigung. Die Schultern hatte sie hodigezogen, hielt links ein leicht zitterndes Wurstbrot, kaute an ihrer Unterlippe, zeigte ein dreieckiges, starres Fuchsgesicht, ließ den Blick auf Störtebekers Rücken brennen, und ich machte mir Sorgen um die Zukunft der Stäuber.
Wir begannen mit der Umgestaltung unserer Kellerräume. Von Mutter Truczinskis Wohnung aus leitete ich, mit den Meßdienern zusammenarbeitend, die Inventarbeschaffung. Aus Sankt Katharinen bezogen wir einen halbhohen, wie sich herausstellen sollte, echten Joseph aus dem sechzehnten Jahrhundert, einige Kirchenleuchter, etwas Meßgesdirr und ein Fronleichnamsbanner.Ein nächtlicher Besuch der Trinitatiskirche brachte einen hölzernen, doch künstlerisch uninteressanten Posaunenengel und einen bunten, als Wandschmuck verwendbaren Bildteppich ein. Die Kopie nach älterer Vorlage zeigte eine geziert tuende Dame mit einem ihr ergebenen Fabeltier, Einhorn genannt. Wenn Störtebeker auch mit einigem Recht feststellte, daß das gewebte Lächeln des Mädchens auf dem Teppich gleich grausam verspielt wie das Lächeln im Fuchsgesicht der Luzie vorherrschte, hoffte ich dennoch, daß mein Unterführer nicht zur Ergebenheit wie das fabelhafte Einhorn bereit war. Als der Teppich an der Stirnwand des Kellers hing, wo zuvor allerlei Unsinn wie »Schwarze Hand« und »Totenkopf« abgebildet waren, als das Einhornmotiv schließlich all unsere Beratungen beherrschte, fragte ich mich: warum, Oskar, warum beherbergst du, da schon die Luzie hier kommt und geht und hinter deinem Rücken kichert, warum nun noch diese zweite, gewebte Luzie, die deine Unterführer zu Einhörnern macht, die es lebend und gewebt im Grunde auf dich abgesehen hat, denn nur du, Oskar, bist wahrhaft fabelhaft, bist das vereinzelte Tier mit dem übertrieben geschnörkelten Horn.
Wie gut, daß die Adventszeit kam, daß ich mit lebensgroßen, naiv geschnitzten Krippenfiguren, die wir aus den Kirchen der Umgebung evakuierten, den Teppich bald so dicht verstellen konnte, daß sich die Fabel nicht mehr allzu vordergründig zum Nachspielen anbot. Mitte Dezember startete Rundstedt seine Ardennenoffensive, und auch wir waren mit den Vorbereitungen für unseren großen Coup fertig.
Nachdem ich an Marias Hand, die zu Matzeraths Kummer ganz im Katholizismus lebte, mehrere Sonntage nacheinander die Zehn-Uhr-Messe besucht und auch der gesamten Stäuberbande den Kirchgang anbefohlen hatte, brachen wir, genug mit den Örtlichkeiten vertraut, ohne daß Oskar Glas zersingen mußte, mit Hilfe der Meßdiener Felix und Paul Rennwand, während der Nacht vom achtzehnten zum neunzehnten Dezember in die Herz-Jesu-Kirche ein.
Schnee fiel, der nicht liegen blieb. Die drei Handwagen stellten wir hinter der Sakristei ab. Der jüngere Rennwand hatte den Schlüssel zum Hauptportal. Oskar ging voran, führte die Burschen nacheinander zum Weihwasserbecken, ließ sie im Mittelschiff in Richtung Hochaltar aufs Knie gehen. Sodann ordnete ich die Verhängung der Herz-Jesu-Statue mit einer Arbeitsdienstdecke an, damit uns der blaue Blick nicht allzu sehr bei der Arbeit behinderte. Das Werkzeug transportierten Dreschhase und Mister in das linke Kirchenschiff vor den linken Seitenaltar. Zuerst mußte der Stall voller Krippenfiguren und Tannengrün ins Mittelschiff geräumt werden. Mit Hirten, Engeln, Schafen, Eseln und Kühen waren wir reichlich eingedeckt.
Unser Keller war voller Statisten; nur an den Hauptdarstellern fehlte es noch. Belisar räumte die Blumen vom Altartisch ab. Totila und Teja rollten den Teppich zusammen. Kohlenklau packte das Werkzeug aus. Oskar jedoch kniete hinter einem Betschemelchen und überwachte die Demontage.
Zuerst wurde der Täuferknabe im schokoladenfarbenen Zottelfell abgesägt. Wie gut, daß wir eine Metallsäge mit hatten. Im Inneren des Gipses verbanden fingerdicke Metallstäbe den Täufer mit der Wolke. Kohlenklau sägte. Er machte es wie ein Gymnasiast, also ungeschickt. Wieder einmal fehlten uns die Lehrlinge der Schichauwerft. Störtebeker löste Kohlenklau ab. Etwas besser ging es, und nach einer halben Stunde Lärm konnten wir den Täuferknaben umlegen, in eine Wolldecke wickeln und die Stille der mitternächtlichen Kirche auf uns wirken lassen.
Das Absägen des Jesusknaben, der mit der ganzen Gesäßfläche den linken Oberschenkel der Jungfrau
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