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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nächtliche Unternehmen, überließ dann Störtebeker oder Moorkähne die Organisation und zersang — jetzt nenne ich sie, die Wunderwaffe — fern wirkender als je zuvor, ohne die Wohnung der Mutter Truczinski zu verlassen, zu später Stunde vom Schlafzimmerfenster aus die Parterrefenster mehrerer Parteidienststellen, das Hoffenster einer Druckerei, in der Lebensmittelkarten gedruckt wurden, und einmal, auf Wunsch und widerstrebend, die Küchenfenster zur Privatwohnung eines Studienrates, an dem die Burschen sich rächen wollten.
    Das war schon im November. V1 und V2 flogen nach England, und ich sang über Langfuhr hinweg, dem Baumbestand der Hindenburgallee folgend, Hauptbahnhof, Altstadt und Rechtstadt überspringend, suchte die Fleischergasse und das Museum auf, ließ die Burschen eindringen und nach Niobe, der hölzernen Galionsfigur, suchen.
    Sie fanden sie nicht. Nebenan saß Mutter Truczinski fest und kopfwackelnd im Stuhl, hatte mit mir einiges gemeinsam; denn wenn Oskar fernwirkend sang, dachte sie fernwirkend, suchte den Himmel nach ihrem Sohn Herbert, den Frontabschnitt Mitte nach ihrem Sohn Fritz ab. Auch ihre älteste Tochter Guste, die Anfang vierundvierzig ins Rheinland heiratete, mußte sie im fernen Düsseldorf suchen, denn dort hatte der Oberkellner Köster seine Wohnung, weilte aber in Kurland; Guste durfte ihn nur knappe vierzehn Urlaubstage lang halten und kennenlernen.
    Das waren friedliche Abende. Oskar saß zu Mutter Truczinskis Füßen, phantasierte ein wenig auf seiner Trommel, holte sich aus der Röhre des Kachelofens einen Bratapfel, verschwand mit der faltigen Altfrauen-und Kleinkinderfrucht im dunklen Schlafzimmer, zog das Verdunklungspapier hoch, öffnete das Fenster einen Spalt breit, ließ etwas Frost und Nacht hereinkommen und schickte seinen gezielten, fernwirkenden Gesang hinaus, sang aber keinen zitternden Stern an, hatte nichts auf der Milchstraße zu suchen, sondern meinte den Winterfeldplatz, dort nicht das Rundfunkgebäude, sondern den Kasten gegenüber, in dem die Gebietsführung der HJ ihre Büroräume Tür an Tür reihte.
    Meine Arbeit brauchte bei klarem Wetter keine Minute. Etwas abgekühlt hatte sich inzwischen der Bratapfel am offenen Fenster. Kauend kehrte ich zu Mutter Truczinski und meiner Trommel zurück, ging bald zu Bett und durfte gewiß sein, daß die Stäuber, während Oskar schlief, in Jesu Namen Parteikassen, Lebensmittelkarten und, was wichtiger war, Amtsstempel, vorgedruckte Formulare oder eine Mitgliederliste des HJ-Streifendienstes raubten.
    Nachsichtig überließ ich es Störtebeker und Moorkähne, allerlei Unsinn mit gefälschten Ausweisen anzustellen. Der Hauptfeind der Bande war nun einmal der Streifendienst. Sollten sie also ihre Gegenspieler nach Lust und Laune abfangen, stäuben, ihnen, von mir aus — wie es Kohlenklau nannte und auch besorgte — die Eier polieren.
    Diesen Veranstaltungen, die nur Vorspiel bedeuteten und noch nichts von meinen eigentlichen Plänen verrieten, blieb ich ohnehin fern, kann also auch nicht bezeugen, ob die Stäuber es waren, die im September vierundvierzig zwei höhere Streifendienstführer, darunter den gefürchteten Helmut Neitberg, fesselten und in der Mottlau, oberhalb der Kuhbrücke, ersäuften.
    Daß, wie es später hieß, Verbindungen zwischen der Stäuberbande und den Edelweißpiraten aus Köln am Rhein bestanden hätten, daß polnische Partisanen aus dem Gebiet der Tuchler Heide unsere Aktionen beeinflußt, sogar gelenkt hätten, muß von mir, der ich doppelt, als Oskar und Jesus der Bande vorstand, bestritten und ins Reich der Legende verwiesen werden.
    Auch sagte man uns beim Prozeß Beziehungen zu den Attentätern und Verschwörern des zwanzigsten Juli nach, weil Püttes Vater, August von Puttkamer, dem Feldmarschall Rommel sehr nahegestanden und Selbstmord verübt hatte. Putte, der seinen Vater während des Krieges vielleicht vier-oder fünfmal flüchtig und mit wechselnden Rangabzeichen gesehen hatte, erfuhr erst bei unserem Prozeß von jener, uns im Grunde gleichgültigen Offiziersgeschichte und weinte so jämmerlich und schamlos, daß Kohlenklau, sein Nebenmann, ihn vor den Richtern stäuben mußte.
    Ein einziges Mal nahmen während unserer Tätigkeit Erwachsene zu uns Kontakt auf. Werftarbeiter — wie ich sofort vermutete, kommunistischer Herkunft — versuchten über unsere Lehrlinge von der Schichauwerft Einfluß zu gewinnen und uns zu einer roten Untergrundbewegung zu machen. Die Lehrlinge

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