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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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eine Stulle zwischen den Fingern, gleich darauf zwischen den Zähnen, und ich beobachtete ihr brennendes, geschlagenes, gedrängt volles Gesicht: die Augen rastlos hinter zwei schwarzen Schlitzen, die Haut wie gehämmert, ein kauendes Dreieck, Puppe, Schwarze Köchin, Wurst mit den Pellen fressend, beim Fressen dünner werdend, hungriger, dreieckiger, puppiger — Anblick, der mich stempelte. Wer nimmt mir das Dreieck von und aus der Stirn? Wie lange wird es noch in mir kauen, Wurst, Pellen, Menschen, und lächeln, wie nur ein Dreieck lächeln kann und Damen auf Teppichen, die sich Einhörner erziehen?
    Als Störtebeker zwischen zwei Beamten abgeführt wurde und Luzie wie Oskar sein blutverschmiertes Gesicht zeigte, sah ich an ihm, ihn fortan nicht mehr erkennend, vorbei und wurde zwischen fünf oder sechs Kripos, auf dem Arm der stullenfressenden Luzie, meiner ehemaligen Stäuberbande nachgetragen.
    Was blieb zurück? Hochwürden Wiehnke blieb mit unseren beiden Stabtaschenlampen, die immer noch auf Rotlicht eingestellt waren, zwischen schnell abgeworfenen Meßdienergewändern und dem Priestergewand zurück. Kelch und Monstranz blieben auf den Altarstufen. Der abgesägte Johannes und der abgesägte Jesus blieben bei jener Jungfrau, die in unserem Puttkamerkeller das Gegengewicht zu dem Teppich mit Dame und Einhorn hätte verkörpern sollen.
    Oskar jedoch wurde einem Prozeß entgegengetragen, den ich heute noch den zweiten Prozeß Jesu nenne, der mit meinem und so auch mit Jesu Freispruch endete.

DIE AMEISENSTRASSE
    Stellen Sie sich bitte ein azurblau gefliestes Schwimmbassin vor, im Bassin schwimmen sonnengebräunte, sportlich empfindende Menschen. Am Rande des Bassins sitzen vor den Badekabinen ähnlich gebräunte, ähnlich empfindende Männer und Frauen. Womöglich Musik aus einem Lautsprecher, den man auf leise stellte. Gesunde Langeweile, leichte und unverbindliche, die Badeanzüge straffende Erotik. Die Fliesen sind glatt, dennoch gleitet niemand aus. Nur wenige Verbotsschilder; doch auch die sind überflüssig, weil die Badenden nur für zwei Stunden kommen und alles Verbotene außerhalb der Anstalt tun. Dann und wann springt jemand vom Dreimetersprungbrett, kann aber dennoch nicht die Augen der Schwimmenden gewinnen, die Augen der liegenden Badegäste aus den illustrierten Zeitungen locken. — Plötzlich ein Lüftchen! Nein, kein Lüftchen. Vielmehr ist es ein junger Mann, der langsam, zielstrebig, von Sprosse zu Sprosse nachgreifend, die Leiter zum Zehnmetersprungturm hinaufsteigt. Schon sinken die Zeitschriften mit den Reportagen aus Europa und Übersee, Augen steigen mit ihm, liegende Körper werden länger, eine junge Frau beschattet die Stirn, jemand vergißt, woran er dachte, ein Wort bleibt unausgesprochen, eine Liebelei, gerade begonnen, endet frühzeitig, mitten im Satz — denn nun steht er gutgebaut und potent auf dem Brett, hüpft, lehnt sich gegen das sanftgebogene Stahlrohrgeländer, schaut wie gelangweilt herab, löst sich mit elegantem Beckenschwung vom Geländer, wagt sich aufs überragende, bei jedem Schritt federnde Sprungbrett, schaut hinab, erlaubt seinem Blick, sich zu einem azurenen, bestürzend kleinen Bassin zu verjüngen, in dem rot, gelb, grün, weiß, rot, gelb, grün, weiß, rot, gelb die Badekappen der Schwimmerinnen immer wieder neu durcheinander geraten. Dort müssen die Bekannten sitzen, Doris und Erika Schüler, auch Jutta Daniels mit ihrem Freund, der gar nicht zu ihr paßt. Sie winken, auch Jutta winkt. Um sein Gleichgewicht besorgt, winkt er zurück. Die rufen. Was wollen die denn? Er soll machen, rufen die, springen, ruft Jutta. Aber er hatte doch gar nicht vor, wollte doch nur einmal gucken, wie es oben ist, und dann wieder langsam, Sprosse um Sprosse greifend, absteigen. Und nun rufen sie, daß es alle hören können, rufen laut: Spring! Nu, spring schon! Spring!
    Das ist, werden Sie zugeben müssen, so nah man sich auf einem Sprungturm dem Himmel befinden mag, eine verteufelte Lage. Ähnlich, wenn auch nicht während der Badesaison, erging es im Januar fünfundvierzig den Mitgliedern der Stäuberbande und mir. Wir hatten uns hoch hinauf gewagt, drängelten nun auf dem Sprungbrett, und unten, ein feierliches Hufeisen ums wasserlose Bassin bildend, saßen die Richter, Beisitzer, Zeugen und Gerichtsdiener.
    Da trat Störtebeker auf das federnde Brett ohne Geländer.»Spring!« rief der Richterchor.
    Aber Störtebeker sprang nicht.
    Da erhob sich unten auf den

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