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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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berührte, war zeitraubender. Gut vierzig Minuten brauchten Dreschhase, der ältere Rennwand und Löwenherz. Warum war eigentlich Moorkähne noch nicht da? Er wollte mit seinen Leuten direkt von Neufahrwasser kommen und uns in der Kirche treffen, damit sich der Anmarsch nicht allzu auffällig gestaltete. Störtebeker hatte schlechte Laune, wollte mir nervös vorkommen. Mehrmals fragte er die Brüder Rennwand nach Moorkähne. Als schließlich, wie wir alle erwarteten, das Wörtchen Luzie fiel, stellte Störtebeker keine Fragen mehr, riß Löwenherz die Metallsäge aus den ungeschickten Händen und gab wild verbissen arbeitend dem Jesusknaben den Rest.
    Beim Umlegen der Figur wurde der Heiligenschein abgebrochen. Störtebeker entschuldigte sich bei mir. Nur mit Mühe unterdrückte ich die nun auch von mir besitzergreifende Gereiztheit und ließ die Bruchstücke des vergoldeten Gipstellers in zwei Mützen einsammeln. Kohlenklau glaubte, mit Klebstoff den Schaden beheben zu können. Mit Kissen wurde der abgesägte Jesus gepolstert, dann in zwei Wolldecken gewickelt.
    Unser Plan war, die Jungfrau oberhalb des Beckens abzusägen und einen zweiten Schnitt zwischen Fußsohlen und Wolke anzusetzen. Die Wolke wollten wir in der Kirche lassen und nur die beiden Hälften der Jungfrau, ganz gewiß den Jesus und, wenn möglich, auch den Täuferknaben in unseren Puttkamerkeller transportieren. Wider Erwarten hatten wir das Gewicht der Gipsbrocken zu hoch angesetzt. Die ganze Gruppe war hohlgegossen, die Wandungen zeigten allenfalls die Dicke zweier Finger, und nur das Eisengerüst bot Schwierigkeiten.
    Die Burschen, besonders Kohlenklau und Löwenherz, waren erschöpft. Eine Pause mußte ihnen zugestanden werden, denn die anderen, auch die Rennwandbrüder konnten nicht sägen. Die Bande saß zerstreut in den Kirchenbänken und fror. Störtebeker stand und verbeulte seinen Velourshut, den er im Kirchinneren abgenommen hatte. Mir gefiel die Stimmung nicht. Es mußte etwas geschehen. Die Burschen litten unter dem leeren, nächtlichen Sakralbau. Auch gab es wegen Moorkähnes Abwesenheit einige Spannungen. Die Rennwandbrüder schienen Angst vor Störtebeker zu haben, standen abseits und flüsterten, bis Störtebeker Ruhe befahl.
    Langsam, ich glaube, seufzend erhob ich mich von meinem Betpolster und ging direkt auf die übriggebliebene Jungfrau zu. Ihr Blick, der den Johannes gemeint hatte, richtete sich jetzt auf die Altarstufen voller Gipsstaub. Ihr rechter Zeigefinger, der zuvor auf Jesus gedeutet hatte, wies ins Leere oder vielmehr ins dunkle linke Kirchenschiff. Eine Altarstufe nach der anderen nahm ich, blickte dann hinter mich, suchte Störtebekers tiefliegende Augen; die waren abwesend, bis Kohlenklau ihn anstieß und meiner Aufforderung zugänglich machte. Er sah mich an, unsicher, wie ich ihn nie gesehen hatte, verstand nicht, verstand dann endlich oder teilweise, kam langsam, viel zu langsam, nahm die Altarstufen aber mit einem Satz und hob mich auf jene weiße, etwas verkantete, die schlechtgeführte Säge verratende Schnittfläche auf dem linken Oberschenkel der Jungfrau, die ungefähr den Abdruck des Jesusknabengesäßes nachzeichnete.
    Störtebeker machte sofort kehrt, war mit einem Schritt auf den Fliesen, wollte gleich wieder seinem Sinnen verfallen, drehte dann doch den Kopf rückwärts, verengte seine nah beieinanderliegenden Augen zu flackernden Kontrollichtern und mußte sich gleich der übrigen Bande in den Kirchenbänken beeindruckt zeigen, als er mich an Jesu Stelle so selbstverständlich und anbetungswürdig sitzen sah.
    So brauchte er auch nicht lange, kapierte schnell meinen Plan, ja überbot den noch. Die beiden Stabtaschenlampen, die Narses und Blaubart während der Demontage bedient hatten, ließ er direkt auf mich und die Jungfrau richten, befahl, weil mich die Funzeln blendeten, rotes Licht einzustellen, winkte die Rennwandbrüder zu sich heran, flüsterte mit ihnen, die wollten nicht, wie er wollte, Kohlenklau näherte sich, ohne daß Störtebeker ein Zeichen gegeben hatte, der Gruppe, zeigte schon seine zum Stäuben bereiten Knöchel; da gaben die Brüder nach und verschwanden, bewacht von Kohlenklau und dem Luftwaffenhelfer Mister in der Sakristei. Oskar wartete ruhig, rückte sich seine Trommel zurecht und war gar nicht erstaunt, als der lange Mister im Priestergewand, die beiden Rennwandbrüder in Meßdienermonturen weißrot zurückkamen. Kohlenklau, halb im Zeug des Vikars, hatte alles bei sich, was

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