Die Blechtrommel
Matzeraths Derbyzigaretten. Oskar hätte jetzt das Geschäft übernehmen sollen. Aber inzwischen hatte Herr Fajngold mit seiner vielköpfigen unsichtbaren Familie das Geschäft übernommen. Der Rest fiel mir zu: Maria, Kurtchen und die Verantwortung für alle beide.
Maria weinte und betete immer noch echt und katholisch. Herr Fajngold weilte in Galizien oder löste knifflige Rechenaufgaben. Kurtchen ermüdete, schaufelte aber unentwegt. Auf der Friedhofsmauer saßen die schwatzenden Jungrussen. Gleichmäßig mürrisch kippte der alte Heilandt den Sand des Friedhofes Saspe auf die Margarinekistenbretter. Drei Buchstaben des Wortes Vitello konnte Oskar noch lesen, da nahm er sich das Blech vom Hals, sagte nicht mehr »Soll ich oder soll ich nicht?« sondern »Es muß sein!« und warf die Trommel dorthin, wo schon genügend Sand auf dem Sarg lag, damit es nicht so polterte. Ich gab auch die Stöcke dazu. Die blieben im Sand stecken. Das war meine Trommel aus der Stäuberzeit. Aus dem Fronttheatervorrat stammte sie. Bebra schenkte mir die Bleche.
Wie mochte der Meister mein Handeln beurteilen? Jesus hatte auf dem Blech getrommelt und ein kastenförmiger, großporiger Russe. Viel war nicht mehr mit ihr los. Aber als ein Wurf Sand ihre Fläche traf, gab sie Laut. Und beim zweiten Wurf gab sie noch etwas Laut. Und beim dritten Wurf gab sie keinen Laut mehr von sich, zeigte nur noch etwas weißen Lack, bis der Sand auch das gleichmachte mit anderem Sand, mit immer mehr Sand, es vermehrte sich der Sand auf meiner Trommel, häufte sich, wuchs — und auch ich begann zu wachsen, was sich durch heftiges Nasenbluten anzeigte.
Kurtchen bemerkte das Blut zuerst. »Er blutet, blutet!« schrie er und rief den Herrn Fajngold aus Galizien zurück, zog Maria aus dem Gebet, zwang selbst die beiden Jungrussen, die immer noch auf der Mauer saßen und in Richtung Brösen geschwatzt hatten, .zu kurzem schreckhaftem Aufblicken.
Der alte Heilandt ließ die Schaufel im Sand, nahm die Kreuzhacke und legte meinen Nacken auf das blauschwarze Eisen. Die Kühle wirkte sich aus. Das Nasenbluten ließ etwas nach. Der alte Heilandt schippte schon wieder und hatte nicht mehr viel Sand neben dem Grab, da verebbte das Nasenbluten ganz und gar, aber das Wachsen blieb und zeigte sich mir durch inwendiges Knirschen, Rauschen und Knacken an.
Als der alte Heilandt mit dem Grab fertig war, zog er aus einem anderen Grab ein morsches Holzkreuz ohne Inschrift und stieß das in den frischen Hügel ungefähr zwischen Matzeraths Kopf und meine begrabene Trommel. »Färtich!« sagte der Alte und nahm Oskar, der nicht laufen konnte, auf den Arm, trug ihn, zog die anderen, auch die Jungrussen mit Maschinenpistolen vom Friedhof, über die niedergewalzte Mauer, den Panzerspuren entlang zum Handwagen auf den Straßenbahnschienen, wo sich der Panzer quergestellt hatte. Über meine Schulter blickte ich rückwärts gegen den Friedhof Saspe. Maria trug den Käfig mit Wellensittich, Herr Fajngold trug das Werkzeug, Kurtchen trug nichts, die beiden Russen trugen zu kleine Käppis und zu große Maschinenpistolen, die Strandkiefern krümmten sich.
Vom Sand auf die Asphaltstraße. Auf dem Panzerwrack saß Schugger Leo. Hoch oben Flugzeuge, von Hela kommend, nach Hela fliegend. Schugger Leo gab acht, daß er seine Handschuhe nicht an dem ausgebrannten T 34 schwärzte. Die Sonne fiel mit ihren vollgesogenen Wölkchen auf den Turmberg bei Zoppot. Schugger Leo rutschte vom Panzer und hielt sich gerade.
Den alten Heilandt stimmte Schugger Leos Anblick heiter: »Na hätt' man sowas schon jesehen! Dä Wält jeht under, nur dem Schugger Leo kriegen se nich klainjekloppt.« Gutmütig klopfte er mit der freien Hand den schwarzen Bratenrock und klärte den Herrn Fajngold auf: »Das is unser Schugger Leo. Da will uns jetzt bemitleidigen und das Handchen dricken.«So war es dann auch. Leo ließ seine Handschuhe flattern, sagte allen Anwesenden sabbernd, wie es seine Art war, sein Beileid und fragte:
»Habt ihr den Herrn gesehn, habt ihr den Herrn gesehn?« Niemand hatte den gesehn. Maria schenkte Leo, ich weiß nicht warum, den Käfig mit dem Wellensittich.
Als Schugger Leo zu Oskar kam, den der alte Heilandt auf den Handwagen gelegt hatte, fiel ihm das Gesicht auseinander, Winde blähten seine Kleidung. Ein Tanz fuhr ihm in die Beine. »Der Herr, der Herr!« schrie er und schüttelte den Wellensittich im Käfig. »Nu seht den Herrn, wie er wächst, nu seht, wie er wächst!«
Da warf
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