Die Blechtrommel
ich Runkel, soll ich Kunkel — das war der sechste Wurf und sieben gestand ich mir zu und sollte sechsmal nicht und warf sieben — sollte, hing ihn über — bekränzte Mathilde — sollte — Lorbeer für Fräulein Kunkel — soll ich? fragte ich die junge Frau Runkel — ja, sagte Mathilde; sie starb sehr früh, im Alter von siebenundzwanzig Jahren und achtundsechzig geboren. Ich aber stand im einundzwanzigsten Lebensjahr, als mir der Wurf beim siebenten Versuch glückte, als ich jenes —
»Soll ich, soll ich nicht?« — in ein bewiesenes, bekränztes, gezieltes, gewonnenes »Ich soll!« vereinfachte.
Und als Oskar mit dem neuen »Ich soll!« auf der Zunge und »Ich soll!« im Herzen zu den Totengräbern hinstrebte, da knarrte der Wellensittich, weil Kurtchen ihn getroffen hatte, und ließ blaugelbe Federn. Ich fragte mich, welche Fragestellung wohl meinen Sohn bewogen haben mochte, so lange mit kleinen Steinen nach einem Wellensittich zu werfen, bis ihm ein letzter Treffer Antwort gab.
Sie hatten die Kiste neben das etwa einszwanzig tiefe Grab geschoben. Der alte Heilandt hatte es eilig, mußte aber warten, weil Maria katholisch betete, weil der Herr Fajngold den Zylinder vor der Brust hielt und mit den Augen in Galizien war. Auch Kurtchen kam jetzt näher heran. Wahrscheinlich hatte er nach seinem Treffer einen Entschluß gefaßt und näherte sich aus diesen oder jenen Gründen, doch ähnlich entschlossen wie Oskar, dem Grab.
Mich quälte diese Ungewißheit. War es doch mein Sohn, der sich für oder gegen etwas entschieden hatte. Hatte er sich entschlossen, nun endlich in mir den einzig wahren Vater zu erkennen und zu lieben? Entschloß er sich etwa jetzt, da es zu spät war, zur Blechtrommel? Oder hieß sein Entschluß: Tod meinem mutmaßlichen Vater Oskar, der meinen mutmaßlichen Vater Matzerath nur deshalb mit einem Parteiabzeichen tötete, weil er die Väter satt hatte? Konnte auch er kindliche Zuneigung, wie sie zwischen Vätern und Söhnen erstrebenswert sein sollte, nicht anders als im Totschlag äußern?
Während der alte Heilandt die Kiste mit Matzerath und dem Parteiabzeichen in Matzeraths Luftröhre, mit der Munition einer russischen Maschinenpistole in Matzeraths Bauch mehr ins Grab stürzte als hinabließ, gestand Oskar sich ein, daß er Matzerath vorsätzlich getötet hatte, weil jener aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur sein mutmaßlicher, sondern sein wirklicher Vater war; auch weil er es satt hatte, sein Leben lang einen Vater mit sich herumschleppen zu müssen.So stimmte es auch nicht, daß die Nadel des Parteiabzeichens schon offen war, als ich mir den Bonbon vom Betonfußboden klaubte. Aufgemacht wurde die Nadel erst in meiner geschlossenen Hand. Sperrig und stechend gab ich den klebenden Bonbon an Matzerath ab, damit sie den Orden bei ihm finden konnten, damit er sich die Partei auf die Zunge legte, damit er daran erstickte — an der Partei, an mir, an seinem Sohn; denn das mußte ein Ende haben!
Der alte Heilandt begann zu schaufeln. Das Kurtchen half ihm ungeschickt, doch eifrig dabei. Ich habe Matzerath nie geliebt. Manchmal mochte ich ihn. Er sorgte für mich mehr als Koch denn als Vater. Er war ein guter Koch. Wenn ich heute Matzerath manchmal vermisse, sind es seine Königsberger Klopse, seine sauren Schweinenieren, sein Karpfen mit Rettich und Sahne, seine Gerichte wie: Aalsuppe mit Grün, Kassler Rippchen mit Sauerkraut und all seine unvergeßlichen Sonntagsbraten, die ich noch immer auf der Zunge und zwischen den Zähnen habe. Man hatte vergessen, ihm, der Gefühle in Suppen verwandelte, einen Kochlöffel in den Sarg zu legen. Man hatte vergessen, ihm ein Spiel Skatkarten in den Sarg zu legen. Er kochte besser, als er Skat spielte. Dennoch spielte er besser als Jan Bronski und fast so gut wie meine arme Mama. Das war sein Vermögen, das war seine Tragik.
Maria habe ich ihm nie verzeihen können, obgleich er sie gut behandelt, nie geschlagen und meistens nachgegeben hatte, wenn sie einen Streit vom Zaune brach. Auch gab er mich nicht ans Reichsgesundheitsministerium ab und unterschrieb den Brief erst, als keine Post mehr ausgetragen wurde. Bei meiner Geburt unter den Glühbirnen bestimmte er mich fürs Geschäft. Um nicht hinter dem Ladentisch stehen zu müssen, stellte sich Oskar über siebzehn Jahre lang hinter ungefähr hundert weißrot gelackte Blechtrommeln. Jetzt lag Matzerath und konnte nicht mehr stehen. Der alte Heilandt schippte ihn zu und rauchte dabei
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