Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
er, und müsse es kurz machen. Am Max-Halbe-Platz, dessen Trümmer immer noch qualmten, bog er links in den Brösener Weg ein, und ich ahnte, daß es in Richtung Saspe ging. Die Russen saßen vor den Häusern in der dünnen Februarsonne, sortierten Armband-und Taschenuhren, putzten mit Sand Silberlöffel, benutzten Büstenhalter als Ohrenwärmer, übten Kunstfahren auf Fahrrädern, hatten sich ein Hindernisgelände aus Ölgemälden, Standuhren, Badewannen, Radioapparaten und Garderobeständern aufgebaut, radelten dazwischen Achten, Schnecken, Spiralen, wichen Gegenständen wie Kinderwagen und Hängelampen, die aus den Fenstern geworfen wurden, geistesgegenwärtig aus und wurden für ihre Geschicklichkeit mit Beifall bedacht.
    Wo wir vorbeifuhren, hörte das Spiel für Sekunden auf. Einige mit Frauenwäsche über der Uniform halfen uns schieben, wollten auch nach Maria greifen, wurden aber von Herrn Fajngold, der Russisch sprach und einen Ausweis hatte, zurechtgewiesen. Ein Soldat mit Damenhut schenkte uns einen Vogelbauer mit einem lebenden Wellensittich auf der Stange. Das Kurtchen, das neben dem Wagen hüpfte, wollte die bunten Federn sogleich greifen und ausreißen. Maria, die das Geschenk nicht zurückzuweisen wagte, hob den Käfig aus Kurtchens Reichweite zu mir auf den Tafelwagen. Oskar, dem der Wellensittich zu bunt war, stellte den Käfig mit Vogel auf Matzeraths vergrößerte Margarinekiste. Ganz hinten saß ich, ließ die Beine baumeln und blickte in das Gesicht des Herrn Fajngold, das faltig, nachdenklich bis grämlich den Eindruck erweckte, der Herr überprüfe hinter der Stirn eine komplizierte Rechnung, die ihm nicht aufgehen wollte.
    Ich schlug ein bißchen auf mein Blech, machte es heiter, wollte die trüben Gedanken des Herrn Fajngold verscheuchen. Aber er bewahrte sich seine Falten, hatte seinen Blick ich weiß nicht wo, womöglich im fernen Galizien; nur meine Trommel sah er nicht. Da gab Oskar es auf, ließ nur noch die Räder des Handwagens und Marias Weinen laut werden.
    Welch ein milder Winter, dachte ich, als wir die letzten Langfuhrer Häuser hinter uns hatten, nahm auch einige Notiz von dem Wellensittich, der sich angesichts jener nachmittäglich über dem Flugplatz stehenden Sonne plusterte.
    Das Flugfeld war bewacht, die Straße nach Brösen gesperrt. Ein Offizier sprach mit dem Herrn Fajngold, der während der Unterredung den Zylinderhut zwischen gespreizten Fingern hielt und dünnes, rotblond wehendes Haar zeigte. Kurz und wie prüfend an Matzeraths Kiste klopfend, den Wellensittich mit dem Finger neckend, ließ der Offizier uns passieren, gab aber zwei höchstens sechzehnjährige Burschen mit zu kleinen Käppis und zu großen Maschinenpistolen als Bewachung oder Begleitung mit.
    Der alte Heilandt zog, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Auch verstand er es, Zigaretten während des Ziehens, ohne den Wagen bremsen zu müssen, mit einer Hand anzuzünden. In der Luft hingen Flugzeuge. Man hörte die Motoren so deutlich, weil es Ende Februar, Anfang März war. Nur bei der Sonne hielten sich einige Wölkchen auf und verfärbten sich nach und nach. Die Bomber flogen gen Hela oder kamen von der Halbinsel Hela zurück, weil dort noch Reste der zweiten Armee kämpften.
    Mich machten Wetter und Flugzeuggebrumm traurig. Es gibt nichts Langweiligeres, den Überdruß mehr Förderndes als ein wolkenloser Märzhimmel voller bald laut, bald ersterbend brummender Flugzeuge. Dazu kam, daß die beiden Jungrussen sich während des ganzen Weges vergeblich Mühe gaben, Gleichschritt zu halten.
    Vielleicht hatten sich einige Bretter der schnellgezimmerten Kiste während der Fahrt, erst über Kopfsteinpflaster, dann über Asphalt mit Schlaglöchern gelockert, auch fuhren wir gegen den Wind; jedenfalls roch es nach totem Matzerath, und Oskar war froh, als wir den Friedhof Saspe erreichten.
    Wir konnten nicht bis auf die Höhe des schmiedeeisernen Gitters heranfahren, da ein quergestellter, ausgebrannter T34 die Straße kurz vor dem Friedhof sperrte. Andere Panzer hatten auf dem Marsch in Richtung Neufahrwasser einen Umweg machen müssen, hatten ihre Spuren im Sand links von der Straße hinterlassen und einen Teil der Friedhofsmauer niedergewalzt. Herr Fajngold bat den alten Heilandt, hinten zu gehen. Sie trugen den Sarg, der sich leicht in der Mitte bog, den Panzerspuren nach, dann mühevoll über das Geröll der Friedhofsmauer und mit letzter Kraft ein Stück zwischen gestürzte und auf der Kippe stehende

Weitere Kostenlose Bücher