Die Blechtrommel
neben dem polnischen Studentenheim, also in der Wohnung der Bronskis ergeben haben, denn es zeigt den Hintergrund eines sonnenbeschienenen, mit Kletterbohnen halb zugerankten Balkons solcher Machart, wie sie nur den Wohnungen der Polensiedlung vorklebten. Mama sitzt, Matzerath und Jan Bronski stehen. Aber wie sie sitzt und wie die beiden stehen! Eine Zeitlang war ich dumm genug, mit einem Schulzirkel, den Bruno mir kaufen mußte, mit Lineal und Dreieck die Konstellation dieses Triumvirates — denn Mama ersetzte vollwertig einen Mann — ausmessen zu wollen.
Halsneigungswinkel, ein Dreieck mit ungleichen Schenkeln, es kam zu Parallelverschiebungen, zur gewaltsam herbeigeführten Deckungsgleichheit, zu Zirkelschlägen, die sich bedeutungsvoll außerhalb, also im Grünzeug der Kletterbohnen trafen und einen Punkt ergaben, weil ich einen Punkt suchte, punktgläubig, punktsüchtig, Anhaltspunkt, Ausgangspunkt, wenn nicht sogar den Standpunkt erstrebte.
Nichts ist bei dieser dilettantischen Messerei herausgekommen, als winzige und dennoch störende Löcher, die ich mit der Zirkelspitze den wichtigsten Stellen dieses kostbaren Fotos grub. Was ist besonderes an dem Abzug? Was hieß mich, mathematische und, lächerlich genug, kosmische Bezüge auf diesem Viereck suchen und, wenn man will, sogar finden? Drei Menschen: eine sitzende Frau, zwei stehende Männer. Sie mit dunkler Wasserwelle, Matzeraths krauses Blond, Jans anliegendes, zurückgekämmtes Kastanienbraun. Alle drei lächeln: Matzerath mehr als Jan Bronski, beide die oberen Zähne zeigend, zusammen fünfmal so stark wie Mama, der es nur eine Spur in den Mundwinkeln und überhaupt nicht in den Augen sitzt. Matzerath läßt seine linke Hand auf Mamas rechter Schulter ruhen; Jan begnügt sich mit einer flüchtigen rechtshändigen Belastung der Stuhllehne.
Sie, mit den Knien nach rechts, von den Hüften ab frontal, hält ein Heft auf dem Schoß, das ich längere Zeit für eines der Bronskischen Briefmarkenalben, dann für eine Modezeitschrift, schließlich für die Zigarettenbildchensammlung berühmter Filmschauspieler hielt. Mamas Hände tun so, als wollten sie blättern, sobald die Platte belichtet, die Aufnahme gemacht ist. Alle drei scheinen glücklich, einander gutheißend gegen Überraschungen der Art gefeit zu sein, zu denen es nur kommt, wenn ein Partner des Dreibundes Geheimfächer anlegt oder von Anfang an birgt. Zusammengehörend sind sie auf die vierte Person, nämlich auf Jans Frau, Hedwig Bronski, geborene Lemke, die zu dem Zeitpunkt womöglich schon mit dem späteren Stephan schwanger ging, nur insofern angewiesen, als diese den Fotoapparat auf die drei und das Glück dieser drei Menschen richten muß, damit sich dreifaches Glück wenigstens mit den Mitteln der Fotografie festhalten läßt.
Ich habe andere Vierecke aus dem Album gelöst und neben dieses Viereck gehalten. Ansichten, auf denen entweder Mama mit Matzerath oder Mama mit Jan Bronski zu erkennen sind. Auf keinem dieser Bilder wird das Unabänderliche, die letztmögliche Lösung so deutlich wie auf dem Balkonbild.
Jan und Mama auf einer Platte: da riecht es nach Tragik, Goldgräberei und Verstiegenheit, die zum Überdruß wird, Überdruß der Verstiegenheit mit sich führt. Matzerath neben Mama: da tröpfelt Wochenendpotenz, da brutzeln die Wiener Schnitzel, da nörgelt es ein bißchen vor dem Essen und gähnt nach der Mahlzeit, da muß man sich vor dem Schlafengehen Witze erzählen oder die Steuerabrechnung an die Wand malen, damit die Ehe einen geistigen Hintergrund bekommt. Dennoch ziehe ich diese fotografierte Langeweile dem anstößigen Schnappschuß späterer Jahre vor, der Mama auf dem Schoß des Jan Bronski vor den Kulissen des Olivaer Waldes nahe Freudental zeigt. Erfaßt diese Unfläterei — Jan läßt eine Hand unter Mamas Kleid verschwinden — doch nur die blindwütige Leidenschaftdes unglücklichen, vom ersten Tage der Matzerath-Ehe an ehebrecherischen Paares, dem hier, wie ich vermute, Matzerath den abgestumpften Fotografen lieferte. Nichts wird von jener Gelassenheit, von den behutsam wissenden Gesten des Balkonbildes sichtbar, die sich wahrscheinlich nur dann ermöglichen ließen, wenn beide Männer sich hinter, neben Mama stellten oder ihr zu Füßen lagen, wie im Seesand der Badeanstalt Heubude; siehe Foto.
Da gibt es noch ein Viereck, das die drei wichtigsten Menschen meiner ersten Jahre, ein Dreieck bildend, aufzeigt. Wenn es auch nicht so konzentriert wie das
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