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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Balkonbild ist, strahlt es dennoch denselben spannungsreichen Frieden aus, der sich wohl nur zwischen drei Menschen schließen und womöglich unterschreiben läßt. Man mag noch soviel über die beliebte Dreiecksthematik des Theaters schimpfen; zwei Personen alleine auf der Bühne, was sollen sie tun, als sich totdiskutieren oder insgeheim nach dem Dritten sehnen. Auf meinem Bildchen sind sie zu dritt. Sie spielen Skat. Das heißt, sie halten die Karten wie wohlorganisierte Fächer, blicken aber nicht, ein Spiel ausreizen wollend, auf ihre Trümpfe, sondern in den Fotoapparat. Jans Hand liegt flach, bis auf den sich richtenden Zeigefinger, neben dem Kleingeld, Matzerath drückt die Fingernägel ins Tischtuch, Mama erlaubt sich einen kleinen und, wie ich glauben möchte, gelungenen Scherz: sie hat eine Karte gezogen, zeigt sie der Linse des Fotoapparates, aber nicht ihren Mitspielern. Wie leicht durch eine einzige Geste, durch das bloße Aufzeigen der Skatkarte Herz Dame, ein gerade noch unaufdringliches Symbol beschworen werden kann; denn wer schwüre nicht auf Herz Dame!
    Das Skatspiel — man kann es, wie bekannt sein dürfte, nur zu dritt spielen — war für Mama und die beiden Männer nicht nur das angemessenste Spiel; es war ihre Zuflucht, ihr Hafen, in den sie immer dann fanden, wenn das Leben sie verführen wollte, in dieser oder jener Zusammenstellung zu zweit existierend, dumme Spiele wie Sechsundsechzig oder Mühle zu spielen.
    Schluß mit den Drein jetzt, die mich in die Welt setzten, obgleich es ihnen an nichts fehlte. Bevor ich zu mir komme, ein Wort über Gretchen Scheffler, Mamas Freundin, und deren Bäckermeister wie Ehemann, Alexander Scheffler. Er kahlköpfig, sie mit einem zur guten Hälfte aus Goldzähnen bestehenden Pferdegebiß lachend. Er kurzbeinig und auf Stühlen sitzend, nie den Teppich erreichend, sie in selbstgestrickten Kleidern, die sich in Mustern nie genug tun konnten. Später Fotos der beiden Schefflers in Liegestühlen oder vor Rettungsbooten des KdF-Schiffes »Wilhelm Gustloff«, auch auf dem Promenadendeck der »Tannenberg« vom Seedienst Ostpreußen. Jahr für Jahr machten sie Reisen und brachten Andenken aus Pillau, Norwegen, von den Azoren, aus Italien unbeschädigt nach Hause in den Kleinhammerweg, wo er Semmeln buk und sie Kissenbezüge mit Mausezähnchen versah.
    Wenn Alexander Scheffler nicht sprach, befeuchtete er unermüdlich mit der Zungenspitze seine Oberlippe, was ihm Matzeraths Freund, der uns schräg gegenüber wohnende Gemüsehändler Greif, als unanständige Geschmacklosigkeit übelnahm.
    Obgleich Greff verheiratet war, war er mehr ein Pfadfinderführer denn ein Ehemann. Ein Foto zeigt ihn breit, trocken, gesund in kurz-hosiger Uniform, mit Führerschnüren und dem Pfadfinderhut. Neben ihm steht in gleicher Montur ein blonder, etwas zu großäugiger, vielleicht dreizehnjähriger Junge, den Greff mit linker Hand an der Schulter hält und Zuneigung bezeugend an sich drückt. Den Jungen kannte ich nicht, aber Greff sollte ich durch seine Frau Lina später kennen und begreifen lernen.
    Ich verliere mich zwischen Schnappschüssen von KdF-Reisenden und Zeugnissen zarter Pfadfindererotik. Schnell will ich einige Seiten überblättern und zu mir, zu meiner ersten fotografischen Abbildung kommen.
    Ich war ein schönes Kind. Die Aufnahme wurde Pfingsten fünfundzwanzig gemacht. Acht Monate war ich alt und zwei Monate jünger als Stephan Bronski, der auf der nächsten Seite im gleichen Format abgebildet ist und unbeschreibliche Gewöhnlichkeit ausstrahlt. Einen gewellten, kunstvoll gerissenen Rand hat die Postkarte, deren Rückseite fürs Adressieren liniert, wahrscheinlich in größerer Auflage abgezogen wurde und für den Familiengebrauch bestimmt war. Der fotografische Ausschnitt zeigt auf dem breitgezogenen Viereck die Form eines allzu symmetrisch geratenen Eies. Nackt und den Dotter versinnbildlichend liege ich bäuchlings auf weißem Fell, das irgendein arktischer Eisbär für einen auf Kinderfotos spezialisierten osteuropäischen Berufsfotografen gestiftet haben muß. Wie für viele Fotos jener Zeit hat man auch für mein erstes Konterfei jenen unverwechselbaren bräunlich warmen Farbton gewählt, den ich menschlich im Gegensatz zum unmenschlich glatten Schwarzweißfoto unserer Tage nennen möchte. Matt verschwommenes, wahrscheinlich gemaltes Blattwerk erstellt den dunklen, mit wenigen Lichtflecken aufgelockerten Hintergrund. Während mein glatter, gesunder Körper in

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