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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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verordneten Lorbeerkranz von der Perücke nimmt, weil ihm das Grünzeug angeblich die Locken versengt, und derselbe Gründgens in ähnlichem Schwarz als Hamlet. Und die Flickenschildt behauptet: Hamlet ist fett. Und Yoricks Schädel, der machte mir Eindruck, weil Gründgens recht eindrückliche Dinge über ihn zu sagen wußte. Dann spielten sie vor erschüttertem Publikum in ungeheizten Theaterräumen »Draußen vor der Tür«, und ich stellte mir für den Beckmann mit der kaputten Brille Gustes Mann, den heimkehrenden Röster vor, der nach Gustes Rede alles ändern, die Feuersteinquelle meines Sohnes Kurt zuschütten würde.
    Heute, da ich das hinter mir habe und weiß, daß ein Nachkriegsrausch eben doch nur ein Rausch ist und einen Kater mit sich führt, der unaufhörlich miauend heute schon alles zur Historie erklärt, was uns gestern noch frisch und blutig als Tat oder Untat von der Hand ging, heute lobe ich mir Gretchen Schefflers Unterricht zwischen KdF-Andenken und Selbstgestricktem: nicht zuviel Rasputin, mit Maß Goethe, Keysers Geschichte der Stadt Danzig in S.tichworten, die Bestückung eines längst versunkenen Linienschiffes, Geschwindigkeit in Knoten aller bei der Seeschlacht bei Tsushima eingesetzten japanischen Torpedoboote, ferner Belisar und Narses, Totila und Teja, Felix Dahns Kampf um Rom.
    Schon im Frühjahr siebenundvierzig gab ich die Volkshochschule, das British Center und Pastor Niemöller auf und verabschiedete mich vom zweiten Rang aus von Gustaf Gründgens, der immer noch als Hamlet auf dem Programm stand.
    Noch keine zwei Jahre war es her, da ich mich an Matzeraths Grab zum Wachstum entschlossen hatte, und schon war mir das Leben der Erwachsenen einerlei. Nach den verlorenen Proportionen des Dreijährigen sehnte ich mich. Unverrückbar wollte ich wieder vierundneunzig Zentimeter messen, kleiner als mein Freund Bebra, als die selige Roswitha sein. Oskar vermißte seine Trommel. Lange Spaziergänge brachten ihn in die Nähe der Städtischen Krankenanstalten. Da er ohnehin jeden Monat einmal zu Professor Irdell mußte, der ihn einen interessanten Fall nannte, besuchte er immer wieder die ihm bekannten Krankenschwestern und fühlte sich, auch wenn die Pflegerinnen keine Zeit für ihn hatten, in der Nähe weißer, eiliger, Genesung oder Tod verheißender Stoffe wohl und fast glücklich.
    Die Schwestern mochten mich, trieben kindliche, doch nicht böswillige Scherze mit meinem Buckel, setzten mir etwas Gutes zum Essen vor und weihten mich in ihre endlosen, verwickelten, angenehm müde machenden Krankenhausgeschichten ein. Ich hörte zu, gab Ratschläge, konnte sogar bei kleineren Streitigkeiten vermitteln, da ich die Sympathie der Oberschwester besaß. Oskar war zwischen zwanzig bis dreißig in Krankenschwesterntrachten verborgenen Mädchen der einzige und auf seltsame Art auch begehrte Mann.
    Bruno sagte es schon: Oskar hat schöne, sprechende Hände, ein welliges, leichtes Haar und — blau genug — jene immer noch gewinnenden Bronskiaugen. Mag sein, daß mein Buckel und der unter dem Kinn ansetzende, gleichviel gewölbte wie enge Brustkorb gegensätzlich genug die Schönheit meiner Hand, meines Auges, das Gefällige meines Haarwuchses unterstreichen, jedenfalls kam es oft genug vor, daß Krankenschwestern, in deren Stationszimmer ich saß, meine Hände ergriffen, mit all meinen Fingern spielten, auch dem Haar zärtlich waren und im Hinausgehen zueinander sagten: »Wenn man ihm in die Augen sieht, könnt' man das andere an ihm glatt vergessen.«
    Ich war also meinem Buckel überlegen und hätte mich ganz gewiß entschlossen, Eroberungen innerhalb der Krankenanstalten zu machen, wenn ich damals noch meiner Trommel mächtig, meiner oftbewährten Trommlerpotenz sicher gewesen wäre. Beschämt, unsicher, etwaigen Regungen meines Körpers nicht trauend, verließ ich nach solch zärtlichen Vorspielen, einer Hauptaktion aufweichend, die Krankenanstalten, machte mir Luft, spazierte im Garten oder um den Drahtzaun herum, der das Gelände der Anstalten engmaschig, regelmäßig, mir pfeifende Gleichmut einredend, umlief. Den Straßenbahnen, die nach Wersten und Benrath fuhren, sah ich zu, langweilte mich angenehm auf den Promenaden neben den Radfahrerwegen und belächelte den Aufwand einer Natur, die Frühling spielte und programmgemäß Knospen wie Knallfrösche springen ließ.
    Gegenüber pinselte unser aller Sonntagsmaler von Tag zu Tag mehr tubenfrisch Saftgrün in die Bäume des Werstener

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