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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Friedhofes. Friedhöfe haben mich immer schon verlocken können. Sie sind gepflegt, eindeutig, logisch, männlich, lebendig. Auf Friedhöfen kann man Mut und Entschlüsse fassen, auf Friedhöfen erst bekommt das Leben Umrisse — ich meine nicht Grabeinfassungen — und wenn man will, einen Sinn.
    Da gab es an der nördlichen Friedhofsmauer entlang den Bittweg Sieben Grabsteingeschäfte machten sich dort Konkurrenz. Große Betriebe wie C. Schnoog oder Julius Wobei. Dazwischen die Buden der Krauter, die R. Haydcnreich, J. Bois, Kühn & Müller und P. Korneff hießen. Ein Gemisch aus Baracke und Atelier, große, entweder frischgestrichene oder gerade noch leserliche Schilder an den Dächern mit Schriften unter den Firmennamen wie: Grabsteingeschäft — Grabdenkmäler und Einfassungen — Natur-und Kunststeinbetriebe -Grabmalkunst. Über Korneff s Bude buchstabierte ich: P. Korneff Steinmetz und Grabsteinbildhauer.
    Zwischen der Werkstatt und dem das Gelände begrenzenden Drahtzaun reihten sich übersichtlich gestaffelt auf einfachen und doppelten Sockeln die Grabdenkmäler für einstellige Gräber bis vierstellige, sogenannte Familiengräber. Gleich hinter dem Zaun , den Rautenmusterschatten des Drahtes bei sonnigem Wetter duldend, die Muschelkalkkissen für geringere Ansprüche, polierte Diabasplatten mit mattgelassenen Palmzweigen, die typischen achtzig Zentimeter hohen, von Hohlkehlen umeilten Kindergrabsteine aus schlesischem, leicht wolkigem Marmor, mit im oberen Drittel vertieften Reliefs, die zumeist geknickte Rosen darstellten. Dann eine Reihe ordinärer Metersteine, roter Mainsandstein, der, von zerbombten Bank-und Kaufhausfassaden stammend, hier Auferstehung feierte; wenn man so etwas von einem Grabstein sagen kann. In der Mitte der Ausstellung das Prunkstück: ein aus drei Sockeln, zwei Seitenstücken und einer großen, reichprofilierten Wand zusammengesetztes Denkmal aus bläulichweißem Tiroler Marmor. Auf der Hauptwand hob sich erhaben das ab, was die Steinmetze einen Korpus nennen. Es war dieses ein Korpus mit Kopf und Knien nach links, mit Dornenkrone und drei Nägeln, bartlos, Hände geöffnet, Brustwunde stilisiert blutend, ich glaube, fünf Tropfen. :
    Obgleich es im Bittweg Grabdenkmäler mit dem nach links hin orientierten Korpus mehr als genug gab — vor Anfang der Frühjahrssaison breiteten oft mehr als zehn die Arme aus — hatte es mir der Korneffsche Jesus Christ besonders angetan, weil, nun weil er meinem athletischen Turner über dem Hauptaltar der Herz-Jesu-Kirche, mit den Muskeln spielend, den Brustkorb dehnend, am meisten glich. Stunden verbrachte ich an jenem Zaun.-Einen Stock ließ ich über das engmaschige Drahtnetz schnurren, wünschte mir dabei dieses und jenes, dachte an alles mögliche und an nichts. Korneff blieb lange verborgen. Aus einem der Atelierfenster drängte ein mehrmals das Knie beugendes, schließlich das Flachdach überragendes Ofenrohr. Nur mäßig stieg der gelbe Qualm schlechter Kohle, fiel auf die Dachpappe, sickerte an den Fenstern, an der Regenrinne herunter, verlor sich zwischen unbearbeiteten Steinen und brüchigen Lahnmarmorplatten. Vor dem Schiebetor der Werkstatt wartete unter mehreren Zeltplanen, wie gegen Tieffliegerangriffe getarnt, ein Dreiradauto. Geräusche aus der Werkstatt — Holz schlug auf Eisen, Eisen sprengte Stein — verrieten den arbeitenden Steinmetz.
    Im Mai fehlten die Zeltplanen über dem Dreiradwagen, die Schiebetür stand offen. Grau vor grau sah ich im Inneren der Werkstatt aufgebänkte Steine, den Galgen einer Schleifmaschine, Regale mit Gipsmodellen und endlich Korneff. Er ging gebückt mit knickenden Knien. Den Kopf hielt er steif und vornüber. Rosa, schwarz durchfettete Pflaster kreuzten den Nacken. Mit einer Harke kam Korneff und harkte, weil's Frühling war, zwischen den ausgestellten Grabsteinen. Er machte das sorgfältig, hinterließ wechselnde Spuren im Kies und sammelte auch Laub vom Vorjahr, das auf einigen Denkmälern klebte. Dicht vorm Zaun, während die Harke vorsichtig zwischen Muschelkalkkissen und Diabasplatten geführt wurde, überraschte mich seine Stimme: »Na Jong, dich woll'n se woll zu Haus nich mehr, oder?«»Ihre Grabsteine gefallen mir außerordentlich«, schmeichelte ich.
    »Dat soll man nich laut sage, sonz kriecht man ehn druppjestellt.«
    Jetzt erst bemühte er seinen steifen Nacken, erfaßte mich oder vielmehr meinen Buckel mit schrägem Blick: »Wat han se denn mit dich jemacht? Is dat nich hinderlich

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