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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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mein Zimmer. Sogar sein Knotengebilde, an dem er heimlich, während ich erzählte, arbeitete, hat er fallen lassen. Ich nehme an, er will Fräulein Doktor Hornstetter rufen.
    Doch bevor die Ärztin kommt und mir bestätigt, was Bruno gemessen hat, spricht Oskar zu Ihnen: Während der drei Tage, da ich meinem Pfleger die Geschichte meines Wachstums erzählte, gewann ich — wenn das ein Gewinn ist? — reichliche zwei Zentimeter Körpergröße.
    So mißt Oskar also von heute an einen Meter und dreiundzwanzig Zentimeter. Er wird nun berichten, wie es ihm nach dem Krieg erging, als man ihn, einen sprechenden, zögernd schreibenden, fließend lesenden, zwar verwachsenen, ansonsten ziemlich gesunden jungen Mann aus den Städtischen Krankenanstalten Düsseldorf entließ, damit ich ein — wie man bei Entlassungen aus Krankenanstalten immer annimmt — neues, nunmehr erwachsenes Leben beginnen konnte.

DRITTES BUCH
FEUERSTEINE UND GRABSTEINE
    Verschlafenes, gutmütiges Fett: Guste Truczinski hatte sich als Guste Köster nicht ändern müssen, zumal sie den Köster nur während der vierzehntägigen Verlobungszeit, kurz vor seiner Einschiffung zur Eismeerfront und danach anläßlich des Fronturlaubes, da sie heirateten, zumeist in Luftschutzbetten auf sich wirken lassen konnte. Wenn auch keine Nachricht über Kösters Verbleib nach der Kapitulation der Kurlandarmee eintraf, antwortete Guste, nach ihrem Gatten befragt, sicher und mit dem Daumen in Richtung Küchentür weisend: »Na der is drieben in Jefangenschaft baim Ivan. Wenner wiedäkommt, wird hier alles anders.«
    Die dem Köster vorbehaltenen Änderungen in der Bilker Wohnung waren auf Maria und schließlich auch auf Kurtchens Lebenswandel gemünzt. Als ich aus den Krankenanstalten entlassen wurde, mich bei den Krankenschwestern, gelegentliche Besuche versprechend, verabschiedet hatte und mich mit der Straßenbahn nach Bilk zu den Schwestern und meinem Sohn Kurt aufmachte, fand ich in der zweiten Etage des vom Dach bis zum dritten Stockwerk abgebrannten Mietshauses eine Schwarzhändlerzentrale, die Maria und mein Sohn, sechsjährig und mit den Fingern rechnend, leiteten.
    Maria, treu und selbst im Schwarzhandel noch ihrem Matzerath ergeben, machte in Kunsthonig. -Aus unbeschrifteten Eimern füllte sie ab, klatschte die Kunst auf die Küchenwaage und nötigte mich — kaum war ich eingetreten und mit den engen Verhältnissen vertraut — zum Verpacken der Viertelpfundkleckse.
    Kurtchen saß hinter einer Persilkiste wie hinter einem Ladentisch, sah seinen heimkehrenden, genesenen Vater zwar an, hatte aber die immer etwas winterlich grauen Augen auf etwas gerichtet, das durch mich hindurch erkennbar und betrachtenswert sein mußte. Ein Papier hielt er vor sich, reihte darauf imaginäre Zahlenkolonnen, hatte nach knapp sechs Wochen Schulbesuch in überfüllten und schlecht geheizten Klassenräumen das Aussehen eines Grüblers und Strebers.
    Guste Köster trank Kaffee. Bohnenkaffee, merkte Oskar auf, als sie mir eine Tasse zuschob. Während ich mich mit dem Kunsthonig abgab, betrachtete sie neugierig, nicht ohne Mitleid für ihre Schwester Maria, meinen Buckel. Es fiel ihr schwer, sitzen zu bleiben, nicht meinen Buckel streicheln zu dürfen; denn allen Frauen bedeutet Buckelstreicheln Glück, Glück in Gustes Fall: die Heimkehr des alles ändernden Köster. Sie hielt sich zurück, streichelte ersatzweise, doch ohne Glück, die Kaffeetasse und ließ jene Seufzer laut werden, die ich während der folgenden Monate täglich hören sollte: »Na darauf kennt ihr Jift nehmen, wenn da Köster heimjekehrt is, wird hier alles anders, und zwar:
    hastenichjesehn!«
    Guste verurteilte den Schwarzhandel, trank aber gerne von jenem dem Kunsthonig abgewonnenen Bohnenkaffee. Wenn Kundschaft kam, verließ sie das Wohnzimmer, schlorrte in die Küche und klapperte dort laut und protestierend.
    Es kam viel Kundschaft. Gleich nach neun Uhr, nach dem Frühstück begann das Klingeln: kurz — lang — kurz. Am späten Abend, gegen zehn Uhr, stellte Guste, oft gegen Kurtchens Protest, der wegen der Schule nur die halbe Geschäftszeit wahrnehmen konnte, die Klingel ab.
    Die Leute sagten: »Kunsthonig?«
    Maria nickte sanft und fragte: »Ain Viertelchen oder ain Halbes?« Es gab aber auch Leute, die keinen Kunsthonig wollten. Die sagten dann: »Feuersteine?« Woraufhin Kurtchen, der wechselnd am Vormittag oder Nachmittag Schule hatte, aus seinen Zahlenkolonnen auftauchte, untern Pullover nach dem

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