Die Blechtrommel
kennen, wurde aber bald darauf in die Universitätsklinik Hannover überwiesen. Dort gelang es, sein Fieber zu drücken. Frau Maria und ihren Sohn Kurt sah Herr Matzerath nur selten und erst wieder dann täglich, als sie eine Stellung als Putzfrau in der Klinik fand.
Da es jedoch keinen Wohnraum für Frau Maria und den kleinen Kurt in der Klinik oder in der Nähe der Klinik gab, auch weil das Leben im Flüchtlingslager immer unerträglicher wurde — Frau Maria mußte tagtäglich drei Stunden in überfüllten Zügen, oft auf dem Trittbrett fahren; so weit lagen Klinik und Lager auseinander — willigten die Ärzte trotz starker Bedenken in eine Überweisung des Patienten nach Düsseldorf in die dortigen Städtischen Krankenanstalten ein, zumal Frau Maria eine Zuzugsgenehmigung vorweisen konnte: ihre Schwester Guste, die während des Krieges einen dort wohnhaften Oberkellner geheiratet hatte, stellte Frau Matzerath ein Zimmer ihrer Zweieinhalbzimmerwohnung zur Verfügung, da der Oberkellner keinen Platz beanspruchte; er befand sich in russischer Gefangenschaft.
Die Wohnung lag günstig. Mit allen Straßenbahnen, die vom Bilker Bahnhof in Richtung Wersten und Benrath fuhren, konnte man bequem, ohne umsteigen zu müssen, die Städtischen Krankenanstalten erreichen.
Herr Matzerath lag dort vom August fünfundvierzig bis zum Mai sechsundvierzig. Seit über einer Stunde erzählt er mir von mehreren Krankenschwestern gleichzeitig. Die heißen: Schwester Monika, Schwester Helmtrud, Schwester Walburga, Schwester Ilse und Schwester Gertrud. Er erinnert sich an den ausgedehntesten Krankenhausklatsch, mißt dem Drum und Dran des Krankenschwesterlebens, der Berufskleidung eine übertriebene Bedeutung bei. Kein Wort fällt von der, wie ich mich erinnere, in jener Zeit miserablen Krankenhauskost, von schlechtgeheizten Krankenzimmern. Nur Krankenschwestern, Krankenschwesterngeschichten und langweiligstes Krankenschwesternmilieu. Da wurde geflüstert und vertraulich berichtet, da hieß es, daß Schwester Ilse zur Oberschwester gesagt haben soll,da hatte es die Oberschwester gewagt, die Unterkünfte der Lehrschwestern kurz nach der Mittagspause zu kontrollieren, da wurde auch etwas gestohlen, und eine Schwester aus Dortmund — ich glaube, er sagte Gertrud — zu Unrecht verdächtigt. Auch Geschichten mit jungen Ärzten, die von den Schwestern nur Zigarettenmarken haben wollten, erzählt er umständlich. Die Untersuchung einer Abtreibung wegen, die eine Laborantin, nicht eine Krankenschwester, an sich selbst oder mit Hilfe eines Assistenzarztes vorgenommen hatte, findet er erzählenswert. Ich verstehe meinen Patienten nicht, der seinen Geist an diese Banalitäten verschwendet.
Herr Matzerath bittet mich nun, ihn zu beschreiben. Froh komme ich diesem Wunsch nach und überspringe einen Teil jener Geschichten, die er, weil sie von Krankenschwestern handeln, breit ausmalt und mit gewichtigen Worten behängt.
Mein Patient mißt einen Meter und einundzwanzig Zentimeter. Er trägt seinen Kopf, der selbst für normal gewachsene Personen zu groß wäre, zwischen den Schultern auf nahezu verkümmertem Hals.
Brustkorb und der als Buckel zu bezeichnende Rücken treten hervor. Er blickt aus starkleuchtenden, klug beweglichen, manchmal schwärmerisch geweiteten blauen Augen. Dicht wächst sein leicht gewelltes dunkelbraunes Haar. Gerne zeigt er seine im Verhältnis zum übrigen Körper kräftigen Arme mit den — wie er selbst sagt — schönen Händen. Besonders wenn Herr Oskar trommelt — was ihm die Anstaltsleitung drei bis allenfalls vier Stunden täglich erlaubt — wirken seine Finger wie selbständig und zu einem anderen, gelungeneren Körper gehörend. Herr Matzerath ist durch-Schallplatten sehr reich geworden und verdient heute noch an den Platten. Interessante Leute suchen ihn an den Besuchstagen auf. Noch bevor sein Prozeß lief, bevor er bei uns eingeliefert wurde, kannte ich seinen Namen, denn Herr Oskar Matzerath ist ein prominenter Künstler. Ich persönlich glaube an seine Unschuld und bin deshalb nicht sicher, ob er bei uns bleiben oder ob er noch einmal herauskommen und wieder wie früher erfolgreich auftreten wird. Jetzt soll ich ihn messen, obgleich ich das vor zwei Tagen getan habe. — Ohne die Nacherzählung meines Pflegers Bruno überprüfen zu wollen, greife ich, Oskar, wieder zur Feder.
Bruno hat mich soeben mit seinem Zollstock gemessen. Das Maß ließ er auf mir liegen und verließ, das Ergebnis laut verkündend,
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