Die Blechtrommel
ich saß, rechts das Eisen führte und links, gegen Korneffs Einspruch, der aus mir einen Rechtshänder machen wollte, links ließ ich die hölzernen Birnen, Knüppel, die eisernen Schlägel, den Stockhammer knallen, klingen, mit vierundsechzig Stockhammerzähnen gleichzeitig den Stein beißen und zermürben: Glück, das war zwar nicht meine Trommel, Glück, war nur Ersatz, Glück kann aber auch ein Ersatz sein, Glück gibt es vielleicht nur ersatzweise, Glück immer Ersatz fürs Glück, das lagert sich ab: Marmorglück, Sandsteinglück, Eibsandstein, Mainsandstein, Deinsandstein, Unsersandstein, Glück Kirchheimer, Glück Grenzheimer.
Hartes Glück: Blaubank. Wolkig brüchiges Glück: Alabaster. Widiastahl dringt glücklich in Diabas.
Dolomit: grünes Glück. Sanftes Glück: Tuff. Buntes Glück von der Lahn. Poriges Glück: Basalt.
Erkaltetes Glück aus der Eifel. Wie ein Vulkan brach das Glück aus und lagerte sich staubig ab und knirschte mir zwischen den Zähnen.
Die glücklichste Hand zeigte ich beim Schriftklopfen. Selbst Korneff ließ ich hinter mir, leistete den ornamentalen Teil der Bildhauerarbeit: Akanthusblätter, geknickte Rosen für Kindergrabsteine, Palmenzweige, christliche Symbole wie PX oder INRI, Hohlkehlen, Rundstäbe, Eierstäbe, Fasen und Doppelfasen. Mit allen erdenklichen Profilen beglückte Oskar Grabsteine in allen Preislagen. Und wenn ich acht Stunden lang einer polierten, unter meinem Atem immer wieder erblindenden Diabaswand eine Inschrift beigebracht hatte wie: Hier ruht in Gott mein lieber Mann — neue Zeile — Unser guter Vater, Bruder und Onkel — neue Zeile — Joseph Esser - neue Zeile — geb. am 3. 4.1885
gest. am 22. 6.1946 — neue Zeile — der Tod ist das Tor zum Leben — dann war ich, diesen Text endlich überlesend, ersatzweise, das heißt, angenehm glücklich und dankte dem im Alter von einundsechzig Jahren verstorbenen Joseph Esser " und den grünen Diabaswölkchen vor meinem Schrifteisen immer wieder dafür, indem ich den fünf Os in der Esserschen Grabsteininschrift besondere Sorgfalt angedeihen ließ; so kam es, daß mir der Buchstabe O, den Oskar besonders liebte, zwar regelmäßig und endlos, aber immer etwas zu groß glückte.
Ende Mai begann meine Zeit als Steinmetzpraktikant, Anfang Oktober bekam Korneff zwei neue Furunkel, und wir mußten die Travertinwand für Hermann Webknecht und Else Webknecht, geb.
Freytag auf dem Südfriedhof versetzen. Bis zu jenem Tag hatte mich der Steinmetz, der meinen Kräften immer noch nicht traute, auf Friedhöfe nie mitnehmen wollen. Zumeist half ihm bei den Versetzarbeiten ein fast tauber, aber sonst brauchbarer Hilfsarbeiter der Firma Julius Wobei. Dafür sprang Korneff ein, wenn bei Wobei, der acht Leute beschäftigte, Not am Mann war. Immer wieder bot ich vergeblich meine Hilfe bei Friedhofsarbeiten an; zog es mich doch dorthin, wenn auch zu jenem Zeitpunkt keine Entschlüsse zu fassen waren. Glücklicherweise setzte Anfang Oktober bei Wobei die Hochkonjunktur ein, er konnte vor Frosteinbruch keinen Mann entbehren; Korneff war auf mich angewiesen.
Wir bänkten zu zweit die Travertinwand hinter dem Dreiradwagen auf, legten sie dann auf Hartholzrollen, rollten sie auf die Ladefläche, schoben den Sockel daneben, schützten die Kanten mit leeren Papiersäcken, luden Werkzeug, Zement, Sand, Kies, die Hölzer und Kisten zum Abbänken dazu, ich machte die Klappe fest, Korneff saß schon am Steuer und ließ den Motor an, da stieß er Kopf und Furunkelnacken aus dem Seitenfenster und schrie: »Nu mach Jong, mach voran. Hol dich dein Henkelmann und steig ein!«
Langsame Fahrt um die Städtischen Krankenanstalten herum. Vor dem Hauptportal weiße Pflegerinnenwolken. Dazwischen eine mir bekannte Pflegerin, Schwester Gertrud. Ich winke, sie winkt zurück. Glück, denke ich, schon wieder oder noch immer, sollte sie mal einladen, auch wenn ich sie jetzt nicht mehr sehe, weil wir Richtung Rhein, zu irgend etwas einladen, Richtung Kappes Hamm, vielleicht ins Kino oder Gründgens ansehen im Theater, da winkt er schon, der gelbe Ziegelbau, mal einladen, muß nicht Theater sein, und Rauch stößt über halbleeren Bäumen das Krematorium aus, wie wäre es, Schwester Gertrud, mal die Tapete wechseln? Anderer Friedhof, andere Grabsteingeschäfte: Ehrenrunde für Schwester Gertrud vor dem Hauptportal: Beutz & Kranich, Pottgiessers Natursteine, Böhms Grabmalkunst, Friedhofsgärtnerei Gockeln, Kontrolle im Tor, es ist gar nicht so einfach,
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